Ausgebrannt und einsam

Totale Erschöpfung: Berufstätigen Müttern wird die Mehrfachbelastung oft zu viel. Gestehen sie sich das nicht ein, können sie in einen Burn-out schlittern. Besonders gefährdet sind Alleinerzieherinnen.

 

„Ich war ständig müde, fahrig, gereizt – und ratlos. Die Arbeit fiel mir immer schwerer, jede Kleinigkeit brachte mich aus der Fassung“, erzählt die 37-jährige Christine. „Am meisten litten meine zwei Kinder. Wenn sie nur ein wenig lauter wurden, fuhr ich sie an. Nichts, was sie machten, passte mir. Ich schimpfte und jammerte. Das machte mich noch unglücklicher.“

Die Alleinerzieherin zeigte eindeutige Zeichen eines Burn-out-Syndroms. Ausgebrannt. Nichts ging mehr. Die Probleme am Arbeitsplatz und daheim wurden immer größer. Dank eines verständnisvollen Chefs und psychologischer Hilfe konnte ein völliger Zusammenbruch vermieden werden.

Überforderung: „Durch die vielen Rollenanforderungen steigt die Zahl der vom Burnout-Syndrom betroffenen Frauen dramatisch an. Ein hochgefahrenes Stress-System stürzt ab“, sagt KURIER Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger. „Eine oft jahrelang bestehende Überforderung kann nicht mehr ertragen werden.“ Die charakteristischen Symptome sind körperliche und emotionale Erschöpfung, Leistungs-und Antriebsschwäche. Betroffene können sich nicht mehr erholen, haben Schlafstörungen, verlieren ihre Interessen und ziehen sich zurück.

Burn-out wurde bisher als klassische Erkrankung von Managern und Menschen in helfenden Berufen (Ärzte, Krankenschwestern, Pädagogen) beschrieben. Inzwischen reicht das Leiden in alle Berufs-und Lebensgruppen hinein. 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung in westlichen Leistungsgesellschaften sind von diesem Phänomen bedroht. Mit steigender Tendenz. „Besonders gefährdet sind berufstätige Frauen mit Kindern. Dass es viele betrifft, wissen wir. Wie viele genau, wissen wir nicht. Denn Burn-out tritt häufig in maskierter Form auf“, so Ärztin und Psychotherapeutin Leibovici-Mühlberger. Burn-out könne sich auch als organisches Leiden niederschlagen: In Form von Bluthochdruck, Herzbeschwerden, ständigen Erkältungen, aber auch Rückenbeschwerden oder Bandscheibenvorfällen. „Erklärbar durch die hohe Stress-Achse, die den Körperverschleißt.“ Die Ursache für Burn-out liegt in der Veränderung der sozialen Rolle der Frau und Mutter. „Früher haben sich die meisten Frauen mit Kind für mehrere Jahre oder gänzlich ins Privatleben zurückgezogen. Heute bekommen sie die Mutterschaftsrolle dazu und geraten in eine Dreierkonstellation: Vollzeit-Mutter, Vollzeit-Berufstätige, Haushalts-Verantwortliche“, so die Expertin.

Stress-Hurrikan: Durch die hohen Scheidungsraten –jede zweite Ehe geht in Brüche – bleiben immer mehr Frauen als Alleinerzieherinnen  übrig. In Österreich leben mehr als 300.000 Frauen und etwa 45.000 Männer allein mit ihren Kindern. Sie sind für alles und jedes erste und letzte Anlaufstelle und Entscheidungsinstanz und haben dadurch eine hohe emotionale Belastung. „Dazu kommt, dass sie wirtschaftlich stark unter Druck geraten und oft gezwungen sind, mehr Arbeit anzunehmen. Ein Stress-Hurrikan, in den sich Alleinerzieher hinein katapultieren.“

Mit fortschreitender Erschöpfung brechen Betroffene häufig ihre Kontakte ab. „Sport und Hobbys werden aufgegeben, die Treffen mit Freunden und Freundinnen als belastend erlebt. Das Gefühl, auf der Stelle zu treten, nichts weiterzubringen und unfähig zu sein, nimmt überhand“, so Leibovici-Mühlberger. „Dafür sind Frauen von ihrer Sozialisierung her besonders anfällig, weil sie im Schnitt über ein hohes Ausmaß an Selbstkritik verfügen und dazu neigen, die eigenen Leistungen schlechter zu bewerten als vergleichbare Leistungen von Männern bewertet werden.“ Ein Rückzug wirkt bei Alleinerziehenden doppelt schwer, denn häufig sind sie von vornherein auf sich selbst gestellt. Weil es speziell in Städten an Familienstrukturen und Auffangverbänden fehlt, die noch vor einigen Jahrzehnten selbstverständlich waren. Nie zuvor hat es eine derartige Isolierung des Einzelnen gegeben wie in der heutigen Gesellschaft.

Kinderseele: Verzweiflung und Nervosität der Mutter färben auf die Kinder ab. „Nach einer gewissen Zeit erleben sie ihre Mutter dann als abgeschlafft, sie vermissen Spaß und Freude. Eine ständig nörgelnde, unzufriedene und übermüdete Mutter wirkt sich nachhaltig negativ auf die Beziehung mit den Kindern und deren weitere Entwicklung aus“, sagt der Family-Coach. Sätze wie „Du machst mir so viel Stress“, „Du raubst mir den letzten Nerv“ oder gar „Du bringst mich ins Grab“, seien Gift für die kindliche Seele. Weil vermittelt werde, die Kinder seien an allem schuld. „Frauen, die spüren, dass ihnen die Kraft abhanden kommt und ihre Lebensqualität schwindet, müssen sich dafür nicht schämen“, sagt Leibovici-Mühlberger. „Sie sollten sich professionelle Hilfe holen, um die Krise meistern zu können.“

Die Expertin rät: Netzwerke und ein wenig Egoismus schützen vor Überlastung

Zwei Zauberwörter gegen Überlastung und Burn-out lauten Netzwerk und Selbstwert. Das ist ganz wesentlich für berufstätige Frauen. Jede Frau sollte sich ganz bewusst vor Augen führen, wie viele Rollen sie zu tragen hat. Frauen neigen dazu, in Belastendes hineinzuschlittern und sehen gar nicht mehr, was sie alles leisten. Wenn man sich die Arbeitsabläufe mancher Frauen anschaut,ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass es ihnen zu viel wird. Sie sind deshalb auch keine Versagerinnen, sondern vollbringen in Wahrheit die Leistung von Titaninnen. Um für Entlastung zu sorgen, sollten Frauen ihre Scheu überwinden und sich im Delegieren üben. Weiters sollten sie sich soviel wie möglich an Stressmanagement und Selbstmanagement aneignen. Wichtig ist, die Balance zwischen Anspannung und Entspannung zu finden. Strategien: Zur Ersten Hilfe empfiehlt es sich, alles einmal niederzuschreiben. Damit beginnt der Bewusstwerdungsprozess, was bei Burn-out ein wesentlicher Schritt ist. Außerdem bringt das Niederschreiben allein eine gewisse Erleichterung. Jetzt weiß man, dass etwas nicht passt und wo man eigentlich steht. Dann heißt es, auf sich selbst Rücksicht zu nehmen, sich nicht mehr weiter anzutreiben und quasi mit der Peitsche hinter sich selbst zu stehen.  Überlastete Frauen sollten lernen, nicht nur zu allen anderen gut zu sein, sondern auch zu sich selbst. Und sie sollten sich nicht so enorm viel abverlangen. Es muss nicht immer alles perfekt sein. In der Erziehung sollten dem jeweiligen Alter der Kinder entsprechende Grenzen gesetzt und eingehalten werden. Auch Mütter brauchen ihre Freiräume, um den Kopf freizubekommen und neue Kräfte zu tanken. Dazu ist ein gut funktionierendes Netzwerk nötig –eine Verbindung mit anderen Frauen, um sich die Kinderbetreuung zu teilen. Und: immer wieder am Selbstwert arbeiten.

erschienen im KURIER, 23. November 2008