KLEINES PARADIES IN WILDEN ALPEN

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Oktober 2022

Fotos: Philip Platzer

Das steirische Salzatal ist eine Gegend, in der sich die Natur noch so richtig breitmachen darf, um den Menschen ihr wertvollstes Geschenk zu bieten: Trinkwasser, das unablässig aus dem Berg strömt.

Hier dreht sich alles ums Wasser. Das
steirische Salzatal wird beherrscht von
seinem Fluss, der sich stets nur kurz
bewundern lässt, weil er ständig die Richtung ändert.
Ebenso ist es mit der Gegend zwischen Gußwerk und
Wildalpen. Es ist kein weites Tal, das Salzatal, sondern
gebirgiges Auf und Ab. Manchmal wie ein Graben,
manchmal wie eine Alm. Immer wieder taucht das
Gebirgsmassiv auf, das wie ein Schutzwall über dem
Gebiet thront. Hochschwab heißt der mächtige Berg,
der das Wasser gibt. So was von schön – und so was
von wichtig: Denn auch von hier bekommen die Wiener
ihr gutes Trinkwasser.

Das kommt der Region sehr zugute, denn abseits
der Straßen breitet sich lediglich Natur aus. „Das sind
die Quellschutzgebiete, die wir stets im Auge behalten“,
sagt Karin Gulas, Direktorin des Wassermuseums und
Bürgermeisterin der 471-Seelen-Gemeinde Wildalpen.
„Reines Wasser ist unsere Lebensgrundlage, dafür
braucht es einen widerstandsfähigen Mischwald, Forstwirtschaft und Naturschutz.“

Deshalb lässt sich die Gegend auch so entspannt
erwandern, weil viele Wege im Schutzgebiet liegen,
in dem weder Autos noch Radler geduldet werden. Der
Herbst ist eine gute Zeit dafür. Alles leuchtet und glüht.
Die Natur nimmt noch einmal all ihre Kraft zusammen,
um uns zu gefallen.

Das gelingt ihr heute spielend; früher hatten die
Menschen Angst vor ihr. Wildalpen wurde im 12. Jahrhundert als „schauerliche, unwegsame Wildnis“ beschrieben. „Die ersten Siedler waren Jäger und Fischer. Der Waldreichtum war ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und brachte den Ort ab dem 17. Jahrhundert zur Hochblüte“, erzählt Karin Gulas.

Auch viele Köhler habe es gegeben, sagt die Bürgermeisterin, während sie uns durch ihr Museum führt. Sie erzeugten für die Hammerwerke und Schmelzöfen die nötige Holzkohle, die dann über Saumwege nach
Eisenerz transportiert wurde. Das Holz wiederum auf
dem Wasserweg – in der Salza.

Durch die Industrialisierung verloren viele ihre
Arbeit, was sie zum Abwandern zwang. Aber dann
reichte den Wienern das Wasser aus dem Raxgebiet –
das in der I. Hochquellenleitung in die Hauptstadt fließt
– nicht mehr aus, und es kam zum Bau der II. Hochquellenleitung in der Salzaregion. Es war eine bautechnische Meisterleistung dieser Zeit. 10.000 Arbeiter waren damit zehn Jahre beschäftigt – bis zum 2. Dezember 1910:
Da wurde dann der große Hahn geöffnet. Seitdem fließt
das Wasser nach Wien. 180 Kilometer, ohne Pumpen,
durch Täler, Schluchten und Senken. 36 Stunden lang
dauert es, bis es in der Stadt ankommt.

„Die Stollen werden ständig kontrolliert“, sagt Karin Gulas. Und: „Das Wasser ist heute genauso ungetrübt wie vor hundert Jahren.“ Sein Weg wird im Museum detailreich gezeigt. Beim Besuch der unermüdlich sprudelnden Kläfferquelle kann man sogar durch einen Schacht ins Innere des Berges schlüpfen und dem Lauf des Wassers zuschauen. Oder von außen sehen, wie es weiß wie Milch aus dem Berg schießt.

KURT, DER REKORDHALTER
Wir treffen nun Kurt Bauer, einen gelernten Zimmermann, den es in jungen Jahren in die Stadt zog, um dort einen Schilderbetrieb zu eröffnen. Ideenreich und kunstsinnig fertigte er nostalgische Holzschilder an – unter anderem k.u.k. Berufsschilder –, die bis heute beliebte Geschenke sind. Vor etlichen Jahren hat der 79-Jährige aber seine Firma verkauft und ist nach Wildalpen heimgekehrt. „Seither kann ich wieder meine Leidenschaft für Schützenscheiben ausleben“, sagt er.

Mit einer Riesenscheibe steht Kurt Bauer sogar im Guinness-Buch der Rekorde. Sie hat 3,60 Meter Durchmesser. „60-jähriges Kaiserjubiläums-Schießen am 20. 7. 1908“ steht darauf. Klar gibt es davon Exemplare
in Normalgröße. Eines davon hat er gerade in Arbeit.

Auch der Forstarbeiter Sepp Graf ist in seinem Element. Am Wegesrand in Hinterwildalpen betreibt er seine Freiluftwerkstatt. Der 59-Jährige ist spezialisiert auf Brunntröge, die er aus Baumstämmen hackt. Ist die
Rinde abgefräst, schnitzt er noch schöne Verzierungen in den Stamm. „Das Holz bleibt ganz natur, wird nicht eingelassen und wird deshalb mit der Zeit grau“, erklärt Sepp. Und dass die Tröge stets mit Wasser gefüllt sein sollten, damit das Holz nicht austrocknet und springt.

Sämtliches Material für seine Kunstwerke findet der Forstarbeiter am Arbeitsplatz. Natürlich hat er einen Blick dafür und weiß sofort, was er wie verwenden kann. „Wenn man 45 Jahre im Wald arbeitet, sieht man viel und weiß viel“, sagt der Sepp weise.

Wir danken, verabschieden uns und ziehen weiter. Auf dem Weg Richtung Gußwerk spannt sich bei Weichselboden ein Gebilde über die Salza. Ein Denkmal, errichtet 1841, das nach seinem Erbauer benannt wurde: die Prescenyklause. Es ist die größte Massivklause Österreichs und das einzige Bauwerk, das noch Zeugnis gibt vom einstigen Transport auf dem Wasser.

Riesige Holzmengen wurden von hier aus über Palfau bis Großreifling und Eisenerz gebracht. Es war eine raue Zeit: Denn als Flößer wurden bevorzugt Nichtschwimmer genommen, die aus Angst, ins Wasser zu fallen, alles dransetzten, die Ladung ans Ziel zu bringen.

STROM FÜRS GANZE MARIAZELLER LAND
Dass die Prescenyklause heute noch existiert, ist Hans Zauner, dem langjährigen Direktor der Stadtbetriebe Mariazell, zu verdanken. Ihn störte, dass mit dem Ende der Flößerei in den Fünfzigerjahren das Bauwerk zusehends zu verfallen begann. Darum wollte es der damals noch junge Ingenieur restaurieren und zur Stromgewinnung adaptieren. „Ich hab drei Monate Tag und Nacht gerechnet, wie sich das ausgehen könnte“, sagt er. Und er hat gut getüftelt: Heute liefert die Presenyklause Strom fürs ganze Mariazeller Land.

Die Salza wird hier in einem See aufgestaut, der im Herbstlicht noch märchenhafter wirkt. Zauberhaft spiegeln sich die gelb und rot gefärbten Bäume im Wasser. Aus diesem kleinen Paradies fließt die Salza dann
durch einen in den Fels geschlagenen Tunnel weiter und treibt die Turbinen an, die Strom erzeugen. Am Ende des Tunnels befindet sich das unterirdische Kraftwerk. Es gilt als eines der umweltfreundlichsten Europas.

LEGENDÄRE KARDINALSCHNITTEN
Wasser macht hungrig. Abhilfe gibt’s in Gußwerk beim Franzbauern, einem Gasthof von bestem Ruf im Salzatal. Gabriele Eisler ist in dem Haus aufgewachsen und führt es gemeinsam mit ihrem Mann Gerhard in vierter Generation. Ihre Spezialitäten sind Forellen und Wild aus eigenem Teich und Gehege. Und für ihre Kardinalschnitten kommen manche Gäste von weit her oder bestellen sie schon im Voraus – auch zum Mitnehmen. „Die Mehlspeise mach ich jeden Tag gleich in aller Früh“, sagt Gabi Eisler. „Ohne frische Kardinalschnitten brauch ich gar nicht aufsperren.“

In Gußwerk kann man sich aber nicht nur diese grandiose Süßigkeit schmecken lassen. Man sollte auch das Montanmuseum samt Schaugießerei besuchen. Was die Herren Richard Pichler, Edwin Berger und der leider inzwischen verstorbene Hans Steiner in Privatinitiative hier aufgebaut haben, nötigt Respekt ab.

1898 musste die seit 1742 bestehende Eisengießerei Gußwerk aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt werden. Genau 100 Jahre später haben die drei Männer sie wieder eröffnet. Die Erinnerung gilt den Söhnen der Gruben und Berge, die nach dem ehernen Schatz suchten, und den Eisengießern, die ihr Handwerk zu höchster Kunstform entwickelten.

Die Gußwerker verstanden sich nicht nur auf die Produktion von Herden, Grabkreuzen, Werkzeugen oder Kanonenkugeln, sie gossen sogar Schmuck – filigrane Stücke besonderer Art. „Weil Gold nach den Napoleonischen Kriegen nicht leistbar war, erfreute man sich an Schmuck aus Eisen“, sagt Richard, der heutzutage wieder solch Geschmeide gießt, die bevorzugt zum Dirndl getragen werden.

Die Herstellung erfordert großes Geschick. „Nicht jedes Stück gelingt. Die kleinste Luftblase kann alles ruinieren, und du musst es wieder einschmelzen“, erklärt Richard. Es muss alles in Sekundenschnelle passieren. Nach dem Schmelzvorgang bei 1.400 Grad kommt die glühende Flüssigkeit in einem Zug in die Gussformen, die mit Quarzsand bestreut sind. Sandkastenverfahren heißt die Technik, die keine Fehler verzeiht.

„Beim Eisenkunstguss sind wir die Einzigen in Österreich, die das so machen“, erklärt Richard und zeigt sein persönliches Prunkstück: Es ist kein zartes Geschmeide, sondern ein Kachelofen. 106 gusseiserne Kacheln hat er in drei Monaten hergestellt. Der Ofen besteht aus Eisen – und ist deshalb eine Besonderheit.
Genau wie das Salzatal und seine Menschen.

 

 

EMPFEHLENSWERTE ADRESSEN

Wasserleitungsmuseum
Säusenbach 14
8924 Wildalpen
Tel.: 03636/451-31871
wasserleitungsmuseum.at

Gasthof Franzbauer
Salzatal 15, 8632 Gußwerk
Tel.: 03885/209

Gasthaus Grabner
8924 Wildalpen 184
Tel.: 03636/237

Kurt Bauer
8924 Wildalpen 182
Tel.: 0664/102 92 35

Sepp Graf
Hinterwildalpen 45
8924 Wildalpen
Tel.: 0664/4580080

Montanmuseum
Bahnhofstraße 7
8632 Gußwerk
Tel.: 0664/32092 18
kunstguss-gusswerk.at

Gasthaus „Zum Krug“
Hinterwildalpen 49
8924 Wildalpen
Tel.: 03636/210
gasthaus-krug.at

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Er webe hoch

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Dezember 2019

Fotos: Lupi Spuma 

Leidenschaft am seidenen Faden. Ingo Knebl übt in der Abgeschiedenheit des Burgenlands das uralte Kunsthandwerk der Bildwirkerei aus. Seine „Gemälde“ entstehen in einem selten gewordenen Verfahren auf dem Hochwebstuhl.

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