Viel zu sehen am See

Erschienen in „Servus Burgenland“, Regionalausgabe 2019

Fotos: Marco Rossi

In der Unendlichkeit der Steppenlandschaft am Rande des Neusiedler Sees gibt’s ordentlich viel zum Schauen. Hier haben außergewöhnliche Tiere und Pflanzen ihre Heimat gefunden – und ganz besondere Menschen.

Das Burgenland ohne Seewinkel ist wie Tirol ohne Berge. Das glitzernde Wasser des Neusiedler Sees mit seinem mächtigen Schilfgürtel breitet sich vor uns aus. An den Rändern die weiß blitzenden Salzlacken und rundherum das endlose Grün und Braun der Steppenlandschaft. Man kann hier weit sehen – fast bis ans Ende der Welt. Auf jeden Fall aber bis Ungarn.

Hier herrschen paradiesische Verhältnisse für Tiere. Um Vögel auf Futtersuche zu beobachten, brauchen wir von den Hochständen aus nur nach unten zu schauen: auf die zierlichen Stelzenläufer mit ihren endlos langen rosafarbenen Beinchen. Über ihnen Möwen und Seeschwalben, ein Stückchen weiter eine Graugans-Großfamilie. 350 Vogelarten kommen hier vor: Uferschnepfe, Seeregenpfeifer, Rotschenkel, Drosselrohrsänger, Rohrdommel oder Rohrweihe. Und mittendrin die faszinierenden grauen Rinder. Sie haben die Aufgabe, zu „mähen“, damit sich das Schilf auf der Landseite nicht zu sehr ausbreitet und wertvoller Lebensraum für Tiere und Pflanzen erhalten bleibt.

EIN DORF IM DORF
Mönchhof ohne Dorfmuseum ist wie eine Gemeinde ohne Häuser. Es ist kein Heimatmuseum, sondern ein Dorf im Dorf. Für Josef Haubenwallner reichte es nicht, ein Museumsgebäude zu errichten, es mussten mehrere Häuser her. Mit der Zeit entstand ein ganzes Dorf inklusive Schule, Kino, Gemeindeamt, Feuerwehr, Friseursalon, Post, Mühle, Schmiede – und Kirche. Jedes Mal, wenn
in der Gegend ein altersschwaches Gebäude abgetragen wurde, war Josef zur Stelle und errichtete es originalgetreu auf eigenem Grund. „Es ist ein langsames, gastfreundliches Museum“, sagt Josefs Ehefrau Christine. Am einladendsten ist das Wirtshaus, in dem sich Besucher an Grammelpogatschen und Wasserkipferln laben können.

Das Burgenland ohne Wein ist wie der Neusiedler See ohne Schilf. Zeit also für eine Einkehr in Krachers Weinlaubenhof in Illmitz. Die Süßweine sind es, die Alois Kracher weltweit bekannt machten. „Wir produzieren aber auch trockene Weine wie Muskat Ottonel oder Chardonnay“, sagt Gerhard Kracher, 35, der das Weingut seit dem frühen Tod seines Weinpionier-Vaters im Jahr 2007 leitet.

Zum Schluss jeder Lese ist der Eiswein dran, wenn es richtig kalt geworden ist. Die Trauben müssen in gefrorenem Zustand geerntet und gepresst werden. „Harte Arbeit. Da musst du raus in der Nacht, wenn’s so richtig eisig ist“, sagt Gerhard. An seiner Seite ist Yvonne, die es von Hamburg nach Illmitz verschlagen hat. Sie ist ausgebildete Sommelière und schaukelt den Ab-Hof-Verkauf.

GUTES GEMÜSE UND GROSSES VERTRAUEN
Der Seewinkel ohne Gemüse ist wie ein Gulasch ohne Paprika. Elisabeth und ihr Mann Heinrich Unger sind Gemüsebauern in Wallern und ziehen Paprika in allen möglichen Sorten, Formen und Farben. „Ich züchte auch alte Gemüsearten, die oft nicht so ertragreich sind, allerdings herrlich schmecken“, erzählt Heinrich. Um ihr Gemüse und Obst gesund zu halten, setzen die Ungers keine Chemie ein, sondern sorgen dafür, dass Nützlinge den Schädlingen den Garaus machen. Im Winter wird herumgetüftelt an neuen Pflänzchen und Saatgut. „In unseren Glashäusern wächst alles auf Mutter Erde, ohne künstliche Lösungen und ohne Computersteuerung“, sagt Elisabeth stolz.

Frauenkirchen ohne Brauhaus ist wie eine Wallfahrt ohne Pilger. Vis-à-vis der barocken Basilika findet sich das „Alte Brauhaus“, ein weithin bekannter Einkehrgasthof – und das schon, seit das „Virts- & Brayhaus“ von Landesfürst Paul I. Esterházy 1679 erbaut wurde. Der Arkadenhof des Restaurants leuchtet im Sonnenlicht, rundum blühender Oleander. Storchengeklapper ist zu vernehmen. Daniel Hickel ist hier seit März 2015 als Küchenchef am Werk. Gemeinsam mit seiner Frau Katarina hat er das Alte Brauhaus von „Paprikawirtin“ Ilona Püspök in Pacht genommen. „Mit der Übernahme des denkmalgeschützten Gasthofes haben wir uns einen lang ersehnten Berufswunsch erfüllt“, sagt Daniel, dessen Blunzenradln, ungarische Fischsuppe „Halászlé“ und Hortobágyer Palatschinken sehr beliebt sind. Ein Dauerbrenner ist aber der Zwiebelrostbraten. „Ein Traditionsgericht, das nur noch selten auf Speisekarten zu finden ist“, sagt Katarina und weist darauf hin, dass das Wichtigste die frisch gerösteten Zwiebelringe seien.

DIE BRÜCKE DER ERINNERUNG
Andau ohne Brücke ist wie ein Ort ohne Geschichte. Die Brücke von Andau ist ein schmaler Holzsteg an der österreichisch-ungarischen Grenze. Berühmtheit erlangte sie, als nach der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes im Sommer 1956 mehr als 70.000 Menschen allein über sie ins Burgenland flüchteten – insgesamt flohen damals 200.000 Ungarn nach Österreich.

Bis dahin diente das Brücklein den Bauern im Seewinkel als Steg, um zu ihren Feldern zu gelangen. Auch im Film „Der Bockerer III“ wurde der Brücke ein Denkmal gesetzt. Sie wurde zum Symbol fürs Überleben. „Wer sie erreicht hat, fand den Weg in die Freiheit“, steht dort auf einem Schild. Der Weg zur Brücke, der Fluchtstraße genannt wird, ist etwa zehn Kilometer lang und heute eine Freiluftgalerie. Hier haben heimische und internationale Künstler Skulpturen und Installationen aufgestellt.

Das Burgenland ohne Steppenrinder und Mangalitza-Schweine ist wie ein Sommer ohne Bienen. Fleischermeister Martin Karlo aus Pamhagen bietet Außergewöhnliches an, das fantastische Fleisch vom Graurind gibt es nur bei ihm. Dafür kommen die Kunden von nah und fern und schlagen zu bei Schinken, Braten und Aufstrichen. Das Fleisch stammt aus biologischer Tierhaltung, ist mager und bekömmlich. Die Rinder sind stets auf der Weide und setzen kein Fett an.

Wie das graue Steppenrind ist auch das Mangalitza-Schwein rar geworden. Es zählt zu den ältesten Schweinerassen Europas. „Viele Jahre waren Graurinder und Schweine verschwunden, zum Glück wurde für sie im Nationalpark Lebensraum geschaffen, und sie konnten wieder angesiedelt werden“, sagt Martins Ehefrau Barbara, die den Verkauf leitet. Alles in allem bieten die Karlos neben den Spezialitäten auch etwa hundert verschiedene Wurst-, Selch- und Speckvarianten an, die der Meister mit großer Freude in Handarbeit zubereitet. Zur Seite steht ihm seine 22-jährige Tochter Therese, die bereits die Meisterprüfung gemacht hat und den Betrieb einmal übernehmen wird.

Der Neusiedler See ohne Fische ist wie eine Rebe ohne Trauben. Wenn das Wetter passt, sind Emmerich Varga und sein Sohn Hannes bereits in aller Früh bei der Arbeit. Im See finden sich Zander, Wels, Karpfen und Hecht. Die Fische werden im eigenen Restaurant in Gols verkocht. Im Herbst ist Hauptfischzeit, da gibt es die größte Auswahl, im Dezember ist Schluss. Wichtig ist auch, die Schonzeiten einzuhalten, die sich je nach Fischart vom Februar bis in den April erstrecken. „Wird ein Zander oder ein Hecht in seiner Schonzeit gefischt, wird er ins Wasser zurückgegeben“ – damit er für Nachwuchs sorgen kann.

So lebt es sich also im Seewinkel, in dem der Kreislauf der Natur den Takt vorgibt. Und die Menschen richten sich danach, um dieses außergewöhnliche Gebiet auch für die Nachkommenden zu bewahren

 

✽ Weinlaubenhof Kracher
7142 Illmitz, Apetloner Straße 37,
Tel.: +43/2175/33 77, www.kracher.at

✽ Gemüse und Früchte Unger
7151 Wallern, Pamhagener Straße 35
Tel.: +43/650/715 10 66

✽ Altes Brauhaus
7132 Frauenkirchen, Kirchenplatz 27
Tel.: +43/2172/22 17
www.altesbrauhaus.at

✽ Schinken und Speck Martin Karlo
7152 Pamhagen, Rosengasse 1,
Tel.: +43/2174/21 26
www.fleischerei-karlo.at

✽ Fischerei Varga
7122 Gols, Untere Hauptstraße 123
Tel.: +43/650/713 14 00
www.varga.co.at

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