Er gibt allen einen Korb

 

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Oktober 2017
Fotos: Nadja Meister

Luc Bouriel verliebte sich in ein uraltes Handwerk – und in eine Frau.  Ihr zuliebe zog er nach St. Andrä-Wördern, wo er jetzt die Kunst des Flechtens vor dem Aussterben bewahrt.

 

Was sind Sie? Korbflechter? Davon kann man leben?“, wundern sich die einen. „Oh, Sie sind Korbflechter, ich kenn das von früher“, meinen die anderen interessiert und können gar nicht aufhören zu fragen. Der junge Handwerker gibt bereitwillig auf alles eine Antwort.

„Das Flechten mit Weiden“, sagt Luc Bouriel, „hat mich derart fasziniert, dass ich es zu meinem Beruf machen musste. Die Nutzungsmöglichkeiten sind so vielfältig, und dabei sind es immer nur wenige Schritte zwischen ursprünglichem Material und fertigem Stück.“ Das Ganze erhält durch raffinierte Flechttechniken seine Form – zusammengefügt durch die geschickten Hände, die das wichtigste Werkzeug des 31-Jährigen sind. Anstrengend ist es, dieses Handwerk, selbst wenn die Weidenruten feucht und biegsam sind. Beim Flechten braucht es zwar weder Kleber noch Nagel oder Schnur, dafür aber einiges an Kraft, um die Ruten zu einem dichten Korbgebilde zu formen.

MAGISCHES MATERIAL Die Werkstatt von Luc Bouriel im niederösterreichischen St. Andrä-­Wördern hat etwas Magisches, aus unserer Welt Gefallenes an sich – auch die Zeit verliert sich hier ein wenig. Alles ist in warme, beruhigende Brauntöne gehüllt. Weidenbündel in verschiedenen Farbtönen lehnen an den Wänden und warten auf ihre Verarbeitung.

Gewiss tragen die Weidenruten zur wohligen Atmosphäre bei. Schließlich sagt man ihnen besondere Heilwirkungen nach.  In ihrer Rinde stecken Inhaltsstoffe, die Fieber senken, Schmerzen lindern und gegen Rheuma wirken. Auch etwas Unsterbliches hat die Weide an sich. Knickt ein kleiner Ast ab und fällt zu Boden, bildet er flugs neue Wurzeln – und wächst und lebt weiter.

Links in der Werkstatt befinden sich die fertigen Stücke, in den unterschiedlichsten Flechttechniken und Farbnuancen hergestellt. Körbe aller Art stehen Seite an Seite und übereinandergetürmt: für den Einkauf und die Wäsche, Körbe für Babys, Hunde und Katzen, für Holz oder Erdäpfel.

EINE DOLCHTASCHE FÜR ÖTZI Daneben finden sich ausgefallene Eigenkreationen wie Kerzenschaukeln, Lampenschirme, Babyrasseln, Vogelhäuschen – und Tierköpfe. Wofür die sind? „Für die Wiener Staatsoper, für die ‚Falstaff‘-­Inszenierung“, erzählt Luc, der gerade an einem Widderkopf flicht. Zu diesem gesellen sich in weiterer Folge Schwein, Pferd und Stier, die bald ihren Auftritt auf den Häuptern der Sänger haben werden.

Solche Herausforderungen liebt Luc, auch fürs Kino hat er schon gearbeitet. Für den neuen „Ötzi“-­Film etwa wurde eine Dolchtasche benötigt – von der Art, wie sie der Steinzeitmensch vor mehr als 5.000 Jahren umgebunden hatte.

Mindestens so weit geht auch das Handwerk des jungen Korbflechters zurück, von vorgestern ist es aber keineswegs. Demnächst wird Luc einen Ballonkorb in Angriff nehmen, den eine Heißluftballonfirma als Messestand bei ihm bestellt hat. Dann zählen noch einige Theater zu seinen Kunden und natürlich Krampusvereine. Wie sollten die wilden Gesellen denn sonst zu ihren Buckelkraxen und Ruten kommen? Als Firmennamen hat sich Luc Bouriel für „Korbsalix“ – eine Mischung aus „Korb“ und dem lateinischen „salix“ für Weide – entschieden. „Es könnte auch aus einem ‚Asterix‘ stammen. Das passt doch gut zu einem Franzosen wie mir“, sagt Luc schmunzelnd. Aus Rennes in der Bretagne stammt der junge Mann nämlich. Ursprünglich hat er Biologie studiert. „Aber nur bis zum Bachelor, weil es mir zu theoretisch war“, erzählt er und dass ihn die PermakulturSchule in Irland weit mehr interessiert habe.

Dort hat ihn dann auch der Korbflecht-Virus erwischt. „Einmal probiert, und ich bin nicht mehr davon losgekommen.“ Ebenso wenig wie von seiner Tanja, die er 2008 in Irland kennengelernt hat und die der Grund ist, warum er heute in Österreich lebt. Zuvor sind die beiden ein Jahr lang von Hof zu Hof durch Frankreich gereist. „Wir haben bei den Bauern gelebt und gearbeitet: Honigmachen, Melken, Käseherstellen, Feldarbeit, Pferdepflege“, berichtet Luc. „Damals habe ich schon sehr viel geflochten und wollte mich weiterbilden.“ Er suchte Kontakt zu anderen Korbflechtern,
die ihn in ihre Geheimnisse einweihten. „Durchwegs ältere Handwerker waren das. Das Durchschnittsalter in diesem Beruf ist sehr hoch, und die Gefahr, dass die Kunstfertigkeit bald ganz verlorengeht, ist groß.“ Das habe ihn sehr berührt, sagt er, und auch motiviert, die Flechtkunst fortzuführen und weiterzugeben.

WERKZEUG VOM KORNEUBURGER MEISTER Heute kann der junge Korbflechter von seinem Handwerk leben, auch weil er sich vor drei Jahren selbständig gemacht hat. Dass das so gut gelang, verdankt er dem heute 93-jährigen Johann Tuschel, der einst eine große Korbflechterei in Korneuburg betrieb. Johann Tuschel hatte eine derart große Freude, dass sich ein Junger für seine Arbeit interessierte, dass er Luc sein ganzes Werkzeug mitsamt dem alten Holzschrank voller Kleinmaterial zu einem guten Preis überließ. Inklusive eines einträglichen Auftrages: der Produktion der Alt-Wiener Zeitungshalter.

„Plötzlich war ich total gut ausgestattet“, sagt Luc mit strahlenden Augen, „und gefragt!“ In Österreich ist er jetzt der einzige Hersteller der traditionellen Kaffeehausutensilien, die auch von Hotels und Verlagen bestellt werden. Die Lesehilfen sind aus Buchenholz und Rattan und werden mithilfe einer Form hergestellt, über die das feuchte Rattan für die Rundungen gebogen wird.

DEMNÄCHST MIT EIGENEN WEIDEN Weil hierzulande der Weidenanbau ausgestorben ist, bezieht Luc sein Rohmaterial – die Mandel-, Purpur-, Dotter- oder Reifweiden – bislang aus Deutschland und Frankreich. Neben dem alten Handwerk möchte er jetzt aber auch die Tradition des Weidenanbaus in seiner Umgebung wiederbeleben. Ein Feld dafür hat er schon gepachtet, auf dem er künftig seine Sträucher selbst ziehen will.

Erntezeit ist übrigens im Winter und zeitigen Frühjahr, zwischen Jänner und März. Die Weiden werden gebündelt, zwei bis sechs Monate lang getrocknet, dann können sie jahrelang lagern. Vor dem Flechten werden ungeschälte Ruten mindestens eine Woche in Wasser eingeweicht, geschälte zwei bis drei Stunden. So werden sie elastisch und brechen beim Flechten nicht.

Geschälte Weide ist von besserer Qualität und länger haltbar. Früher musste noch per Hand geschält werden, heute erledigt das eine Maschine. Fürs Flechten aber gibt es nach wie vor kein Gerät, jeder Korb auf der Welt braucht einen Flechter aus Fleisch und Blut.

Ob es die richtige Entscheidung war, sich ausgerechnet mit einem fast vergessenen Handwerk selbständig zu machen, dessen war sich Luc nicht immer sicher. „Es gab eine Zeit des Zweifelns“, gesteht Tanja Smioski, die Frau an seiner Seite, die ihm auch in sorgenvollen Tagen beigestanden ist und ihm heute jederzeit bei der Organisation und auf den Märkten hilft.

Vor allem Lucs Eltern waren anfangs überaus skeptisch. „Meine Mutter sagte, dass das doch kein Beruf sei“, erzählt Luc, während er am Widderkopf weiterarbeitet und mit einem Schlageisen das Geflecht fest aneinanderdrückt. „Mit der Zeit haben sie aber gesehen, dass es funktioniert. Und ich glaube, jetzt sind sie sogar ein bisschen stolz auf mich.“

✽ Korbsalix, Luc Bouriel, Josef-Karner- Platz 1, 3423 St. Andrä-Wördern, Tel.: 0676/307 88 22, www.korbsalix.at

 

Die uralte Kunst des Flechtens
Korbflechten ist eine der ältesten Handwerkstechniken und wird seit etwa 10.000 Jahren praktiziert. Es ist älter als Töpfern und Weben. Funde zeugen davon, dass bereits in den Anfängen menschlicher Kultur Gebrauchsgegenstände für den täglichen Bedarf geflochten wurden. Ein Grund dafür ist, dass fürs Flechten kaum Werkzeug gebraucht wird.

In der Korbflechterei entwickelten sich je nach Land und Region verschiedene Techniken und Korbformen. Neben Körben für den Haushalt
wurden auch Möbel, Kinderwägen, Bilderrahmen, Teppichklopfer, Bienenkörbe, Kutschen und Fassadenteile geflochten. Oft wurden Blinde mit dem Flechten beauftragt, die sich so ihren Lebensunterhalt verdienten.
Einst waren Korbflechter gleichzeitig Hausierer, die von Ort zu Ort zogen und ihre Waren feilboten. Das Rohmaterial fanden sie kostenlos in der Natur, an Bächen und Flussufern. Bis zur Verdrängung durch industrielle Produkte aus Draht und Kunststoff waren Körbe unerlässlich für Haushalt und Landwirtschaft. Alles, was wir heute aus Plastik benutzen, wurde früher aus Weide hergestellt. Noch bis vor etwa 50 Jahren war die Korbflechterei ein sehr bedeutendes Gewerbe. So gab es allein in der Region von Bayern 24.000 Korbflechter.
In Österreich gibt es noch Korbflechtereien in Wien, Oberösterreich, Niederösterreich und in der Steiermark und dann noch einzelne Interessierte, die das Korbflechten als Hobby oder kleinen Nebenerwerb betreiben.

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