Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Dezember 2017
Fotos: Marco Rossi
Das Schifferlsetzen ist in der Mariazeller Gegend ein alter Brauch, der einst aus Armut entstand. Damit die Kinder eine Nikolofreude hatten, bastelten sie Papierschiffe, die von Kaufleuten und Wirten befüllt wurden.
Das Wichtigste ist die Heimlichtuerei. Deshalb schlendert Felix betont lässig durch das Geschäft, in dem er nichts kaufen, aber etwas hinterlegen will. Es ist gerade günstig, der Verkäufer ist mit Kundschaft beschäftigt – und schwupps hat Felix sein Schifferl unter dem Anorak hervorgezogen und hinter der Budel deponiert. Und weg ist er.
Schon bald wird das selbst gebastelte Papierschiff gefunden werden. Es trägt einen schönen Spruch: „Ich grüße dich, o Nikolaus, segne bitte unser Haus. Legst du was in mein Schifflein ein, will ich dir sehr dankbar sein.“ Am nächsten Tag, zu Nikolo, wird es dem Zehnjährigen dann wieder überreicht – gefüllt mit Obst, Nüssen, Lebkuchen und sonstigen Köstlichkeiten. So will es der alte Brauch des Schifferlsetzens, der im Mariazeller Land gepflogen wird.
Jedes Jahr am ersten Adventsonntag treffen einander Kinder zum Schifferlbasteln im Mariazeller Heimathaus. In der heimeligen Atmosphäre wird eifrig gefaltet, geklebt, verziert, bemalt, es werden Segel aufgezogen und fein säuberlich mit Sprüchen geschmückt.
Stolz nimmt die Kinderschar dann die Schiffchen mit nach Hause, um sie am 5. Dezember, dem Krampustag, zu „setzen“. Der Brauch ist mehr als 160 Jahre alt. Das Fest des heiligen Nikolaus, des Patrons der Flößer und Schiffsleute, wird zum Anlass genommen, um so zu Naschereien und sonstigen Annehmlichkeiten zu kommen.
SYMBOL FÜR GUTE GABEN „Nikolaus spielt in dieser Gegend deshalb eine große Rolle, weil in steirischen Städten und Märkten die Salz- und auch Holzverfrachtung auf dem Wasser ein wichtiger Erwerbszweig war. Und weil Nikolaus über die Schiffe wachte, wurden diese zum Symbol für gute Gaben am Namenstag des Patrons“, erklärt Andreas Schweighofer, Brauchtumsforscher und Leiter des Mariazeller Heimathauses.
Der nur in dieser Region existierende Brauch ist auf bitterer Armut begründet, die damals durch besonders starke „Nikolo-Hochwässer“ entstand. Sie kamen meist Anfang Dezember – nach Föhn, Regen oder Schneeschmelze – und richteten im Umkreis des auf fast 900 Metern liegenden
Mariazell verheerende Schäden an. Nicht nur an Haus, Hof und Vorratskammern, immer wieder kamen auch Menschen und Tiere ums Leben. Die an der Salza gelegenen Ortschaften wie Rasing, Gußwerk oder auch Halltal waren stark betroffen. Um die Not zu lindern, setzte man den „verschonten“ Mariazeller Bürgern heimlich ein Schifferl mit der Bitte zu helfen vor die Tür.
Not leidende Eltern schickten ihre Kinder am 5. Dezember mit den einfachen, aber liebevoll verzierten und mit Sprüchen wie „Heiliger Sankt Nikolaus wohlbekannt, füll mein Schifflein bis an den Rand“ versehenen Papierschiffchen nach Mariazell. Dort wurden sie heimlich und ohne Namen in der Sparkasse, beim Bürgermeister, im Gasthof und bei Verwandten hinterlegt. Oder in den großen Kaufhäusern, in denen mitunter Wäschekörbe aufgestellt waren, die bis zu 300 Schifferln aufnehmen konnten. Sogar Kleidung gab es da für die Bittsteller.
Heute wird der Brauch zum Glück nicht mehr aus Armut betrieben. Und unter den Überraschungen finden sich mittlerweile auch Comic-Hefte und Geld. In Martins Riesenschiff, das er aus einer Baumrinde gebastelt hat, finden sogar Köstlichkeiten für die ganze Familie Platz. „Wir haben es auf Wunsch meiner Tante gebaut, weil sie uns allen eine Freude machen will“, erklärt der Bub.
Christl Würnitzer hat in ihrer ehemaligen Schneiderei schon alles für den Schifferl- Ansturm vorbereitet. Da stehen Säcke mit Nüssen, Äpfeln, Mandarinen, Feigen, Schokofiguren, Lebkuchen und Zuckerln bereit, die sie später liebevoll auf die Schiffchen verteilen wird. „Sie gehören meinen Enkerln, deren Freunden und Kindern aus unserer Straße“, sagt Christl, die der fröhlichen Meute gern auch eine Jause spendiert. Die Lehrerin Uschi Klöpfer entkommt dem Geschehen ebenfalls nicht, zumal sie ihren Schülern im Unterricht den Brauch erklärt. „Das regt sie zum Basteln an – und natürlich auch zum Setzen“, sagt sie. Wobei Mitmachen und Schifferlfüllen, das sei in und um Mariaziell ohnehin ein ungeschriebenes Gesetz.
„I BIN A KLOANS BINGGERL UND STEH AUF OAN FUASS, I BITT DIE LIABN LEUT UM A BISSERL WAS GUATS!“
Der heilige Nikolaus rettete Kinder, junge Frauen und Seeleute
Der überlieferte Brauch mit seiner ganzen Heimlichtuerei ist an der Legende des heiligen Nikolaus angelehnt, der Fremde gern heimlich beschenkte.
Geboren wurde Nikolaus Ende des 3. Jahrhunderts im türkischen Patara als Kind reicher Eltern. Sie starben früh an der Pest und hinterließen ihrem Sohn ein Vermögen. Nachdem rund um ihn große Armut herrschte, verteilte er seinen Reichtum unter den Armen.
Nikolaus wurde schon jung zum Priester geweiht und war bald Bischof von Myra. Als solcher wirkte er im 4. Jahrhundert wohltätig und half den Menschen bei Hungers-, See-, Geld- und Seelennöten.
Der Legende nach bewahrte Nikolaus auch mehrere junge Frauen, die keine Mitgift hatten, vor der Prostitution. Heimlich warf er Goldstücke durchs Fenster oder durch den Kamin in die darin aufgehängten Socken. Damit konnten die Väter ihre Töchter verheiraten.
Nikolaus gilt als der Mann der guten Gaben und Freund der Kinder. So ist etwa die Geschichte überliefert, dass er ein entführtes Kind den Eltern zurückbrachte. Und er soll bis ins hohe Alter die Kinder mit Nüssen und Obst beschenkt haben.
Aber auch in Seenot geratene Schiffsleute riefen ihn an. Ihnen erschien ein mit Wunderkräften ausgestatteter Mann, der die Navigation übernahm, die Segel richtig setzte und den Sturm zum Abflauen brachte. Daraufhin verschwand er wieder. Wegen dieser und ähnlicher Erzählungen wurde Nikolaus auch zum Patron der Seefahrer. Er wurde weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt und gilt weltweit als Schutzheiliger der Kinder und Schiffsleute.
Nikolaus ist einer der bekanntesten Heiligen. Sein Gedenktag, der 6. Dezember, wird im gesamten Christentum mit Volksbräuchen begangen. Sein griechischer Name Nikolaos bedeutet übersetzt übrigens „Sieger des Volkes“ und war bereits in vorchristlicher Zeit gebräuchlich.
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