Er webe hoch

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Dezember 2019

Fotos: Lupi Spuma 

Leidenschaft am seidenen Faden. Ingo Knebl übt in der Abgeschiedenheit des Burgenlands das uralte Kunsthandwerk der Bildwirkerei aus. Seine „Gemälde“ entstehen in einem selten gewordenen Verfahren auf dem Hochwebstuhl.

Das Haar hängt ihm ein wenig zerzaust ums Gesicht, der Kopf ist weit nach vorn gestreckt, die Brille auf der Nase – so werden, konzentriert und mit strengem Blick, die letzten Handgriffe geprüft. „Ja“, sagt Ingo Knebl leise, „das passt, so kann ich weitermachen.“ Entspannt lehnt er sich zurück und gibt den Blick auf seinen Webstuhl frei. Ein erster Teil des neu entstehenden Werkes ist bereits gut zu erkennen. Auf lila Untergrund leuchtet ein halber roter Kreis. Wenn es fertig ist, wird das Geschaffene „Lebensbaum“ heißen.

Ingo Knebl malt nicht. Er webt seine Bilder. Sie entstehen über viele Tage und Wochen in mühevoller Kleinarbeit auf einem selbst gebauten Hochwebstuhl. Bildwirkerei oder Tapisserie wird seine Leidenschaft genannt, und es handelt sich dabei um eines der ältesten Kunsthandwerke der Welt – das schon in der Antike von Bedeutung war und neben großem Können und ausgeprägter Genauigkeit auch ein hohes Maß an Geduld erfordert. Intuition, Ideen und Hingabe braucht es sowieso.

„Es ist für mich eine Art Meditation“, sagt der 66-jährige Oberösterreicher, der den jeweiligen Faden fest in der Hand haben muss. Mit raffiniertem Fingergriff wirkt er das Garn (die Schussfäden) in verschiedenen Farben quer in das gespannte Gewebsgerüst (Kettfäden genannt) ein – und flugs werden sie mit der Webgabel fixiert. Im Gegensatz zur Weberei werden bei der Bildwirkerei die Schussfäden aber nicht von einem Rand zum anderen eingewebt, sondern nur bis zum Rand einer bestimmten Farbfläche, wodurch Motive oder Bilder entstehen.

DAS MATERIAL ERLAUBT KEINE FEHLER „Wenn es gut geht, webe ich zehn Zentimeter am Tag. Wenn es schwierig ist, höchstens einen einzigen.“ Weil alles stets an einem seidenen Faden hänge, weil das nicht glatt dahinlaufe, weil er dazwischen immer wieder auftrennen und von neuem beginnen müsse, wenn er nur einmal nicht richtig eingefädelt hat. „Das kann ewig dauern. Wenn kleine Manderln, Pferderln oder andere Winzigkeiten dabei sind, ist das oft sehr tückisch. Mein Material erlaubt keine Fehler, die sieht man gleich.“

Es kann schon zwei Monate dauern, ehe so ein Bild fertig ist, vor allem wenn es um die 115 mal 180 Zentimeter oder noch mehr misst. Das Meditieren am Webstuhl macht sich jedoch bezahlt: Ingos Werke sind im besten Sinne des Wortes bildschön, von einer Farbenpracht und Einzigartigkeit, die Betrachter verzaubern und nicht mehr aus den Köpfen gehen. Die Bilder, die manchmal dreidimensional auf das Auge wirken, sind vorwiegend von Landschaften, Gesteinen, Menschen und Tieren geprägt.

Die Motive seiner „Gemälde“ stammen meistens aus eigenen Entwürfen, manchmal auch von anderen Künstlern. Je nachdem, was ihn gerade bewegt. Ingo Knebl, Maler ohne Pinsel, ist ein widersprüchlicher Geist, Naturliebhaber und Umweltschützer. Deshalb verwebt er in den Wandteppichen nicht nur seine Umwelt und persönliche Erlebnisse, sondern auch politisches Weltgeschehen. „Ich will aber auf keinen Fall negative Sachen weben, denn man kann nur positiv etwas verändern.“ Deshalb heißt das vor kurzem geschaffene Werk mit der Flüchtlingsfamilie „Paradies“, weil die Vertriebenen in Sicherheit sind und auf ein neues Daheim zugehen.

Der in Linz geborene Künstler hat sich vor mehr als 25 Jahren mit seiner Familie in der burgenländischen Einschicht auf einer Anhöhe von Krobotek bei Weichselbaum niedergelassen. Von seiner Frau lebt er inzwischen getrennt, seine vier Kinder sind erwachsen, haben alle studiert und stehen auf eigenen Beinen. Besuchen kommen sie ihn gerne, nur weben wollen sie nicht. Zumindest noch nicht. Sehr zum Leidwesen des Vaters, der gerne eine Nachfolge hätte. „Die Kinder haben eben von klein auf mitbekommen, wie mühsam die Arbeit und wie schwer das Geldverdienen damit ist“, sagt Ingo. Sein Kunsthandwerk betreiben heute nur noch wenige, wodurch Wissen und Erfahrung der Bildwirker in Vergessenheit geraten werden.

„Das Weben ist mir buchstäblich zugefallen“, erinnert sich Ingo, der immer ein exzellenter Zeichner war und unbedingt Grafiker werden wollte. In der Kunstgewerbeschule Linz war aber damals in der Grafikabteilung kein Platz zu kriegen, stattdessen in der Textilklasse. „Also ging ich dorthin – als einziger Bub unter fünf Mädchen.“ Er spezialisierte sich auf textiles Gestalten, arbeitete etliche Jahre in einer Textilfabrik und als Schaufensterdekorateur, ehe er sich, damals im Salzkammergut, selbständig machte. Anfangs hielt er sich mit dem Weben von Teppichen über Wasser.  „Das ging recht gut, die Leute brachten mir ihre Kleiderreste und haben sich Fleckerlteppiche machen lassen“, erzählt Ingo und krault nachdenklich seinen Rübezahlbart. „Schade, dass das aus der Mode gekommen ist. Es ist doch schön und sinnvoll, vom eigenen Gewand Teppiche zu haben, anstatt es wegzuwerfen.“

Heute bezieht er um wenig Geld Stoffbänder, die in Teppichmanufakturen übrig bleiben. Daraus fertigt er auf seinem alten Flachwebstuhl prächtige Teppiche. Dass dies keine gewöhnlichen Fleckerlteppiche sind, muss nicht extra erwähnt werden. Trotzdem sei gesagt, dass sich jedes Stück in gelungener Farbzusammensetzung und mit attraktiver Musterung darstellt.

Neben dem Teppichmachen für den Boden tauchte er immer mehr ein in die Welt der Komposition für seine gewebten Wandgemälde. Neben der Arbeit studierte er bei der heimischen Koryphäe der Bildwirkerei, Fritz Riedl, in Linz und ging durch eine strenge Schule. „Wir haben nach Vorlagen großer Künstler – sehr viel Picasso – gewebt und auch für Hundertwasser gearbeitet. Und der Meister war sehr heikel. Hat ein fertiges Stück von uns Studenten seinen Vorstellungen nicht entsprochen, wurde es vernichtet.“ In dieser Zeit hat er das Kunsthandwerk von Grund auf gelernt und in all den Jahren immer mehr verfeinert.

WO EIN WILLE, DA EIN WEBEN Ingo verwendet Garne aus Baumwolle, Leinen oder Zellwolle. Diese Fäden, die auf kleine Spulen gewickelt sind, hat er in unzähligen Farben fein säuberlich geordnet. Diese Spulen (in der Fachsprache Flieten genannt) begleiten den gesamten Webvorgang. Sie hängen so lange am Bild, bis dieses fertig ist. Apropos Flieten: Das Wort stammt aus dem Nordischen und heißt so viel wie fleißig oder flott. Passt gut zu Ingo, der sich seiner Arbeit nimmermüde hingibt. „Wenn der Wille und die Liebe zum Weben groß genug sind, kommt das Handwerkliche ganz von selbst“, sagt er. Was ihn allerdings betrübt: „Dass die Textilkunst bei uns nicht mehr die Bedeutung hat wie früher und sich nicht so leicht verkaufen lässt.“ Was allenfalls auch an der Komplexität liegen mag. Sein Handwerk ist aufwendig und kompliziert. Zunächst wird der Entwurf auf die entsprechende Webbreite und das Format des werdenden Bildes vergrößert. Diese Vorlage wird hinter den Kettfäden auf einem Karton positioniert und läuft beim Weben mit. Mithilfe der kleinen Spulen arbeitet sich Ingo Millimeter für Millimeter nach oben. Und das Bild wächst.

Ist es schließlich vollendet, inspiziert er es zum allerletzten Mal. Wird es den hohen eigenen Ansprüchen gerecht, kommt der große Moment: Ingo schneidet sein Bild heraus, verknüpft die Fäden, bügelt es glatt und näht ein dünnes Leinentuch auf die Rückseite. Verschwunden ist der kritische Blick … und ein bubenhaftes Lächeln huscht über sein Gesicht.


✽ Textile Kunst: Ingo Knebl, Krobotek 85,
8382 Weichselbaum, Tel.:03325/8519, ingoknebl.at

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