Kuranstalt für Bilder

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe November 2019

Fotos: Philip Platzer

Der Steirer Heinz Mitteregger gibt Menschen und Fotografien von einst die Schönheit zurück. Mit Bädern und Stiften, Pinseln und viel Geduld bringt er verstaubte und zerrissene Erinnerungen wieder zum Leuchten.

Die meiste Zeit ist Heinz Mitteregger ein ganz normaler Fotografenmeister. Alles läuft nach Plan, solange er nicht dieses gewisse Papier in die Finger bekommt. Jenes, das einst für Fotografien verwendet wurde. Hat er nämlich so ein Bild aus längst vergangenen Tagen vor sich, gibt es kein Halten mehr. Und erst recht nicht, wenn es so richtig zerfleddert, zerdrückt und zerrissen ist. Er muss es reparieren. Er begibt sich in eine Ecke seines Geschäfts, vertieft sich mit seinem Kennerblick in die Aufnahme – und ist dann einmal weg. In klitzekleinen Arbeitsschritten macht er wieder gut, was die Zeit den Bildern angetan hat.

Heinz Mitteregger hat sich neben seinem Brotberuf einen Namen als Fotorestaurator gemacht. „Es hat sich einfach so ergeben, weil mir meine Kunden immer wieder alte Bilder gebracht und gefragt haben, ob ich sie reparieren kann.“ Ja, hat er gesagt, er könne das, schließlich hat er es bei seiner Ausbildung gelernt. In seinem Geschäft, das seit 1866 durchgehend in Judenburg besteht, ist sogar noch etliches vorhanden, was er für sein mühseliges Geduldsspiel braucht. Für den viel beschäftigten Heinz Mitteregger ist es aber auch Entspannung – und ein Eintauchen in eine andere Zeit, in andere Leben, in eine andere Welt.

DIE SCHICKSALE HINTER DEN BILDERN
Manchmal weiß er nicht viel über die Menschen auf den alten Aufnahmen, weil die Besitzer auch nicht im Bilde über deren Lebensläufe sind. Manchmal wird ihm jedoch erzählt, wer da abgelichtet wurde und welches Schicksal jemand hatte – so wie bei dem Abbild eines traurig blickenden Paares, das im Jahr 1914 aufgenommen wurde. Der junge Mann in Uniform musste damals in den Krieg ziehen, hatte aber Glück und kam heil zurück. Die beiden führten später ihren Gasthof weiter, hatten zwei Töchter und viele, viele Enkelkinder. Der Mann wurde 74, die Frau 86 Jahre alt. So steht es in der Familienchronik. Im Gegensatz zu dem attraktiven Mann mit frechem Hut, dessen Porträt vom 7. Jänner 1917 stammt und das Heinz Mitteregger gerade fertig renoviert hat. Über ihn ist nichts weiter bekannt – außer der Inschrift: „Als Andenken zum 50. Geburtstag“.

KLEIDER WERDEN FRISCH GEBÜGELT
Damals entstanden die Bilder noch durch Belichtung mittels Glasplatten- und Großformatkammern, auf die von außen kein Licht fallen durfte. Deshalb mühte sich der Fotograf stets unter der Decke mit den Einstellungen ab, während er seine Modelle zum Ruhighalten ermahnte. „Es waren noch sehr lange Belichtungszeiten nötig. Deshalb schauen viele Menschen so steif auf den Fotos, weil sie sich ja minutenlang nicht rühren durften“, sagt der Meister.

Bei Heinz Mitteregger wird den Menschen auf dem alten Fotopapier ihre Schönheit zurückgegeben, ihre Gesichter werden von Kratzern und Rissen befreit, ihre Kleider frisch gebügelt. Der Meister schätzt besonders das seinerzeit verwendete Barytpapier.  „Es ist stark und sehr haltbar, farb- und
lichtbeständig. Seit  den  1970er-Jahren  haben wir nur noch plastikbeschichtetes Papier, das rasch ausbleicht. Diese Fotos sind kaum mehr zu reparieren“, erklärt er. „Ich glaube nicht, dass unsere heutigen Aufnahmen in 100 Jahren noch so gut beisammen sind wie die alten.“ Und wenn diese stets in einem geschützten Album verwahrt wurden, ist es oft verblüffend, wie gut sie erhalten sind und wie wenig Spuren die vielen Jahrzehnte hinterlassen haben. Anders natürlich, wenn die Fotos irgendwo gefunden werden oder auf dem Dachboden verstaubten. In solchen Fällen brauchen sie eine Schönheitskur.

Für die aufwendige Restaurierung ist Muße, Geduld und eine ruhige Hand vonnöten. Es beginnt mit dem Putzen und vorsichtigen Abschaben des Staubs. Die Aufnahme wird in ein Bad gelegt, und wenn sie dann wieder glatt aus der Trockenpresse kommt, werden die Risse auf der Rückseite geklebt. Erst dann geht’s richtig los mit der Tüftelei: Heinz Mitteregger bearbeitet das Bild mit unterschiedlichen Bleistiften und Eiweißlasurfarben. Einmal werden Warm-, dann wieder Kaltfarben aufgetragen und dem Original in seinen Brauntönen angeglichen. Oder es wird koloriert.

MIT SPUCKE BEFEUCHTET
Immer wieder benetzt er den Pinsel zwischen seinen Lippen und erneuert Punkt für Punkt das alte Werk. „Die Eiweißlasur ist unschädlich – sie wird mit Spucke befeuchtet, weil sie sich so am besten auftragen lässt und am haltbarsten ist“, sagt der Meister unbeirrt. „Das hat man immer schon so gemacht.“ Am schwierigsten, sagt er, seien dunkle Flecken, die sich auf hellem Hintergrund gebildet haben. „Da muss ich ein wenig kratzen, dabei aber sehr vorsichtig sein, damit ich das Papier nicht beschädige“, so Heinz Mitteregger, dem vor lauter Konzentration die schwarze Brille auf die Nase gerutscht ist. Ohne Leidenschaft lässt sich diese Arbeit nicht tun, für die es viel Wissen, Können und Erfahrung braucht.

Über all das verfügt der Fotografenmeister, der sein Handwerk blendend versteht. Der 60-Jährige hat nicht nur die Meisterprüfung in seinem Fach gemacht, sondern auch die Höhere Graphische Lehr- und Versuchsanstalt in Wien absolviert. „Dort haben wir unzählige Bilder restauriert.“ Seit 36 Jahren ist er jetzt selbständig in seinem mehr als 150 Jahre bestehenden Studio – einem der ältesten Österreichs. Und das in einem steinalten Haus, das 1509 auf dem Hauptplatz von Judenburg errichtet wurde. Über dem Geschäft wohnt er mit seiner Familie. Heinz Mitteregger ist mit einer Lehrerin verheiratet und hat zwei Töchter.

KONKURRENZLOS BEI DER ARBEIT
Seit Heinz Mitteregger Bundesinnungsmeister der Berufsfotografen ist, reißt’s ihn noch mehr um – weil er sich seit jeher für seine Stadt engagiert und auch das erfolgreiche Puch-Museum mit aufgebaut hat. Ehrenämter zu übernehmen gehöre sich einfach, meint Heinz Mitteregger. „Wenn man aus der Gesellschaft etwas bekommt, muss man auch etwas zurückgeben.“ Über historische Fotoplatten und Daguerreotypien freut sich das Stadtmuseum, dem der Meister die Schätze seiner Vorgänger überlassen hat. „Dort sind sie bestens aufgehoben.“ Spricht’s und wendet sich dem nächsten Bild zu.

Es warten noch einige auf die dringend nötige Auffrischung. Die Aufträge kommen von Bürgermeistern, Pfarrhöfen, Museen und Familien. Beim Restaurieren ist der Fotografenmeister konkurrenzlos. Weil nur er das kann? „Aber nein“, sagt er, „weil sich das keiner antut.“ Also ein gutes Geschäft? Jetzt lacht er. „Nein, auch nicht. Es ist mehr eine Liebhaberei.“ Eine Ehrerbietung an seine Kunden, weil er die gesamte Arbeitszeit niemals verrechnen könnte.

Schluss mit den Erklärungen. Schweigend zieht sich Heinz Mitteregger seine „Weißen“ über die Finger und beginnt mit der Retusche eines Negativs. Die Handschuhe sind notwendig, schließlich hat ein Fingertapper auf dem Abzug nichts verloren.

Info:

Wie das Zeichnen mit Licht endlich gelang

Am 19. August 1839 wurde in Frankreich die Daguerreotypie, unsere heutige Fotografie, präsentiert. Ein damals unvorstellbares Verfahren, mit dem man die Welt festhalten konnte. Der Begriff Fotografie kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Zeichnen mit Licht“.
Nicéphore Niépce (1765–1833) und Louis Daguerre (1787–1851) entwickelten die ersten Techniken und chemischen Verfahren, die es ermöglichten, Bilder festzuhalten – zunächst jeder für sich. 1816 gelang dem Chemiker Niépce erstmals die Wiedergabe von Bildern auf Metallplatten mit lichtempfindlicher Asphaltbeschichtung nach dem von ihm erfundenen Ätzdruckverfahren (Heliografie).
Die Bilder verblassten aber rasch. Der Theatermacher Daguerre tat sich dann mit Niépce zusammen und entwickelte nach dessen Tod 1833 die Methode weiter, die seinen Namen erhielt.
Mit der Einführung der Kodak-Kamera 1889 wurde ein weiterer Meilenstein gesetzt. Mit ihr erreichte die Fotografie den heutigen Stand. Erst Elektronik und Digitalisierung brachten neue Verfahren.

✽ Heinz Mitteregger, Fotografenmeister:
Hauptplatz 13, 8750 Judenburg,
Tel.: 03572/824 01, mitteregger.com

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