VON KLÖTZLERN, ZOTTLERN UND TUXERN

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Jänner 2018 

Fotos: Elias Holzknecht

Von Dreikönig bis zum Faschingsdienstag sind im Tiroler Mühlau wieder wilde Gesellen unterwegs. Es sind die Muller, die in großer Maskerade und unter lautem Getöse den Winter vertreiben und Glück verbreiten.

 

Mit wilden Verrenkungen springt der Klötzler ins Geschehen.
Sein mit Holzplättchen bestücktes Kostüm sorgt dabei für ordentlich Lärm – und das soll auch so sein. So entgeht niemandem, dass diese Figur mit lautem Geklapper die bösen Wintergeister vertreiben will.

Mit dem Klötzler ist eine ganze Horde weiterer temperamentvoller Gesellen unterwegs. Die einen tragen zünftige Lederhosen, die anderen weiße oder blaue Gewänder, an denen Glöckchen, Quasten und Bommeln baumeln. Wieder andere sind in fransige Fetzen gehüllt. Und die Hexen stecken im Dirndlkleid. Sie haben einen auffälligen, prallen Busen – natürlich ausgestopft, denn es sind alles Männer, die sich hinter den schönen oder schaurigen Holzmasken verbergen.

HEXEN PUTZEN DIE SCHUHE Wir sind bei den Mullern in Mühlau bei Innsbruck. „Mullen bedeutet so viel wie Fetzen oder Hadern. Die meisten Kostüme bestehen ja daraus“,  erklärt Thomas Winterle, Obmann der furiosen Truppe. Und die zieht jetzt wieder das ganze Dorf in ihren Bann. Während der herrschaftliche Spiegeltuxer, der den Hochsommer symbolisiert, elegant einherschreitet, wehren sich die winterlichen Zottler gegen die Vertreibung, indem sie – Derwischen gleich – ekstatische Tänze vollführen. Indessen wischen die grimmigen Hexen mit ihren Besen über die Schuhe der Zuschauer, um ihnen den Schmutz des zurückliegenden Jahres abzuwischen.

NARRETEI UND KULTURERBE Es ist ein so spektakuläres wie rares Schauspiel, das einem hier geboten wird: Schließlich
gibt es das echte, unverfälschte Mullen ausschließlich nördlich von Innsbruck, in den MARTHA-Dörfern. Die Bezeichnung ist eine Abkürzung aus den Ortsnamen Mühlau, Arzl, Rum, Thaur und Absam.

In jeder dieser Ortschaften hält noch eine Muller-Gruppe das alte Brauchtum hoch. Unter den Walzerklängen einer Ziehharmonika tritt man zwischen Dreikönig und Faschingsdienstag auf Straßen, in Dorfgasthöfen, auf Bällen und Feiern auf. Das Spektakel ist so einzigartig, dass es sogar
ins Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen wurde.

Geschichtlich gesehen sind Fasnachtsbräuche wie das Mullen meist auf vorchristliche kultische Handlungen zurückzuführen,
bei denen es darum ging, die bösen Geister des Winters zu vertreiben und den Weg für den Frühlingsgott freizumachen. Damals waren die Winter besonders hart, beherrscht von Kälte und Hunger. Nichts wurde sehnlicher erwartet als das Frühjahr.
Später dann, im Mittelalter, eröffnete die Fasnacht andere Möglichkeiten: Narretei und Sinnesfreuden waren vor der strengen Fastenzeit angesagt. Vermutlich hat auch das Mullen seinen Ursprung im Mittelalter – jedenfalls hat es bis heute nichts von seiner Faszination verloren.

Von der Leidenschaft für das „Mullengehen“ werden sogar schon kleine Buben erfasst. Wie etwa der vierjährige Fabio. Er ist das jüngste Mitglied der Mühlauer Muller und beherrscht bereits alle Schritte und Sprünge. „Das ist wichtig, denn unsere Auftritte sind an eine strenge Choreografie gebunden“, erklärt Fabios stolzer Vater. Er und sein Sohn sind blaue „Zaggeler“ und repräsentieren den Herbst.

REINE MÄNNERSACHE Wie viele Fasnachtsbräuche ist auch das Mullen reine Männersache. Frauen wirken nur im Hintergrund mit, kümmern sich um die Kostüme, nähen, sticken und flicken. Beim Klötzlerkostüm des neunjährigen Christoph hat aber auch der Vater mit Hand angelegt. „Der Papa hat die vielen Hölzer aus Latten geschnitten, geschliffen und Löcher reingebohrt, die Mama hat mühevoll  die Plättchen aufgenäht“, erzählt Christoph. Das schwere Kostüm zu tragen bereitet ihm keine Probleme. „Das halte ich schon aus, ich mach das ja bereits ein paar Jahre“, sagt er stolz.

„Wenn der Vater mullt, wollen das die Buben auch. Derzeit haben wir 15“, freut sich Vereinsobmann Thomas Winterle. An Mullern mangelt es ihm also nicht. Insgesamt 55 Mitglieder zählt seine Truppe, etwa 25 von ihnen kommen bei einem Auftritt hinter kunstvollen Masken und in aufwendigen
Kostümen zum Einsatz.

Selbst für die Mini-Muller werden schon Masken geschnitzt. Vom Federkielsticker erhalten sie – ganz wie die Großen – auch noch einen original Tiroler Ranzen. „Diesen Gürtel brauchen wir ja sowieso das ganze Jahr über für unsere Tracht“, sagt Martin Kapferer. Er selbst trägt seinen Ranzen in
der Fasnacht aber nicht. Schließlich gibt der 47-Jährige eine Hexe – und die steckt im Dirndl und nicht in der Lederhose.

FRUCHTBAR UND GLÜCKLICH Höhepunkt des alljährlichen wilden Treibens ist das Abmullen. Dabei wählen die Muller unter den Zuschauern Männer und Frauen aus, an deren Schulter sie sich reiben und denen sie dann mit der Hand einen leichten Schlag versetzen. „Bei Männern haun wir schon einmal ein bissl fester drauf, Frauen werden prinzipiell zart behandelt“, sagt Martin Kapferer und erklärt weiter: „Bei dem Ritual handelt es sich um eine Ehrenbezeugung für den Geschlagenen, es ist eine Art Fruchtbarkeitsschlag. Er soll Glück bringen.“

Ist das Abmullen vorbei, legen die Männer Larven und Aufputze ab und bitten zum Tanz. Auch die kleinen Muller tun mit. Ohne mit der Wimper zu zucken, fordern die neun- und zehnjährigen Buben erwachsene Frauen auf und drehen mit ihnen die Runde. Danach legen jene Muller, die den Frühling und Sommer darstellen, einen Schuhplattler hin, der die Stimmung so richtig anheizt.

Noch einmal springen und wirbeln die winterlichen Zottler um ihr Leben. Vergeblich, denn der Hochsommer, symbolisiert vom imposanten Spiegeltuxer, steht am Ende als Sieger da – mit seinem prächtigen Aufputz und einem großen Spiegel, der ihm zusätzlich Kraft verleiht. Denn nachdem sich die Wintergeister darin erblickt haben, sind sie über ihre eigene Hässlichkeit so erschrocken, dass sie sich davontrollen.

Geschlagen bleiben die Zottler auf dem Boden liegen, und der Spiegeltuxer steigt über sie hinweg – mitten hinein in den Frühling.

Was die Muller-Figuren bedeuten

1. Der Zottler
Er symbolisiert den grimmigen Winter, was auch seine Larve und die düstere, zottelige Kleidung zeigen. Sein Aufputz ist beeindruckend, er ist zur einen Hälfte mit Pfauenfedern geschmückt, zur anderen mit einem Fuchsfell bekleidet. Die Tänze der Zottler sind wild, nur gut trainierte Männer stehen sie durch.
2. Der Spiegeltuxer
Er ist der Schönste, deshalb gibt es von ihm auch immer nur einen. Er ist der erhabene Hochsommer und in allen Fasnachten der MARTHA-Dörfer der Mittelpunkt des Auftritts. Sein Kopfputz ist reich verziert und hinten und vorn mit Spiegeln besetzt.
3. Die Hexe
Auch die Hexe verkörpert den Winter. Sie fegt mit ihrem Besen durch Stuben und Lokale und bereitet so den Weg für die weiteren Figuren. Über die Schuhe der Zuschauer putzt sie, um
den Schmutz des Vorjahres zu beseitigen.
4. Der Melcher
Er steht für den Sommer, trägt als Symbol dafür eine kurze Lederhose und tanzt und plattelt, dass es eine Freude ist. Auf dem Kopf trägt er – wie auch der Vorläufer (Frühling) – einen Hut mit goldenen Quasten, Seidenblumen und Hühnerfedern.
5. Der Vorläufer
Der Vorläufer oder auch Weiße ist fröhlich und stolz und symbolisiert den Frühling. Darauf weisen die bunten Blüten auf dem Gewand und die aufgerollten Hemdsärmel hin – es wird schon wärmer. Beim Hereinmullen muss der Vorläufer auf den genauen Takt und die Schritte achten.
6. Der Zaggeler
Beim Zaggeler oder Blauen ist der Herbst, der zwar noch Farbe hat mit den vielen aufgenähten Wollblüten, aber seine Maske hat bereits rauere, unfreundlichere Züge, und seine Bewegungen sind wilder.
7. Der Klötzler
Mit seinem holzbestückten Kostüm ist er eine markante Winter-Figur. Die Plättchen sind aus unterschiedlichen Holzarten, die einen weich, die anderen hart. Durch diese Kombination entsteht ein eigenwilliger Klang, wenn sich der Klötzler bewegt.

 Mullen in Mühlau: Jedes Jahr vom 6. Jänner bis zum
Faschingsdienstag.
www.muehlauer-muller.at

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