Von Hand gegerbt, mit Liebe gesäckelt

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe April 2016
Fotos: Michael Reidinger

Zwei uralte Meisterberufe – ein Mariazeller Familienbetrieb.
Tochter Heidi schneidert der Kundschaft Lederhosen auf den Leib.
Vater Martin sorgt für das nötige Leder. Er gerbt feines Sämisch.

Komm her, Mama, schnell! Da kann man beim Nähen zuschauen, da ist eine richtige Werkstatt“, ruft das kleine Mädchen. Es pickt mit seiner Nase an der Scheibe. Hinter dem Glas gibt es viel zu bestaunen: Lederballen, Hosenteile,  Gewichte, Rundhölzer, Hämmer, Riemen und Papierschnitte. Und tatsächlich, da sitzen auch zwei Frauen in der Auslage an ihren Maschinen und nähen an einer Hose.

Die eine ist die Säcklermeisterin Heidi Wimmer, die andere ihre Mutter Waltraud. Sie blicken kurz auf und lächeln hinaus, lassen sich aber nicht weiter bei ihrer Arbeit stören. Die beiden sind es gewohnt, dass man ihnen bei der Arbeit zuschaut: Ihre Werkstätte mit dem großen Fenster befindet sich an einer belebten Ecke mitten in Mariazell. Hier wird ein altes Handwerk ausgeübt, hier entstehen Hosen aus feinstem Sämischleder – nach Maß und Wunsch gefertigt, handgenäht und -bestickt.

GEHEIMNISVOLLER STICKSTICH

Heidi Wimmer ist Säcklerin und übt damit einen uralten Beruf aus, bei dem sich alles um die Fertigung von Lederbekleidung dreht. Hosenbeine, Latz, Säcke, Taschen, Bänder, Stege, Zwickel, Futter, Träger, Knöpfe – so eine Lederhose setzt sich aus 70 bis 100 Einzelteilen zusammen, die nach dem Papierschnitt aufs Leder gezeichnet, zugeschnitten und dann Stück für Stück zusammengefügt werden. „Wir verarbeiten nur Sämischleder von Hirsch oder Gams aus der Gerberei meines Vaters. Sein natürlich gegerbtes Leder ist  atmungsaktiv und hautfreundlich. Man schwitzt nicht darin“, erklärt die 30-Jährige, während sie ein Lederstück für ein Stickmuster vorbereitet. So offenherzig sie Zuschneide-, Näh- oder Knopflocharbeit vorführt, so verschlossen wird die junge Frau, wenn es um die Stickerei geht. Sie ist ja das Kunstvolle, das jede Lederhose zu einem Unikat macht.

„Der Stickstich ist mein Geheimnis, den zeig ich nicht vor, denn mir hat ihn auch keiner gezeigt“, sagt Heidi. Dann erzählt sie, dass sie sich ursprünglich ihren Berufswunsch gar nicht erfüllen konnte, weil sich keiner der heimischen Säcklermeister bereit erklärte, sie als Lehrling aufzunehmen. Nach dem Motto „Wir züchten uns doch nicht die eigene Konkurrenz heran“ gab es nur Absagen. Den Stickstich hat sie sich trotzdem angeeignet, eine andere Säcklerin hat ihn ihr später dann doch noch beigebracht. „Eh keine Hexerei“, sagt sie lachend. „Eigentlich ganz leicht nachzumachen. Wenn man sich auskennt.“ Mit kundiger Hand führt sie die Nadel mit der grünen  Maulbeerseide und stickt eine Seitennaht – und wir dürfen ihr dabei dann doch über die Schulter sehen. Echte Handstickerei erkennt man dadurch, dass sie erhaben und auf der Rückseite nicht zu sehen ist, weil das Leder nicht durchgestochen wird – anders als beim Maschinensticken. Nach Augenmaß entsteht unter Heidis Händen eine schnurgerade Stickleiste. „Das muss man in einem durch machen, damit alle Stiche gleich sind. Und man kann sich beim Sticken auch nicht abwechseln, sonst wird das Muster unregelmäßig, weil jeder seine eigene Art hat“, erläutert die Säcklerin, die nur einen Fingerhut als Hilfsmittel braucht. „Papas Leder ist ja so weich, nur bei dickeren Stellen greife ich zum Zangerl.“

IM KREIS DER SÄCKLERMEISTER

Weil Heidi bereits als kleines Mädchen wusste, dass sie einmal Lederhosen machen will wie die Mama, ging sie auf die HBLA für Mode und Bekleidungstechnik, die Ortweinschule in Graz. Nach der Matura stieg sie ins Geschäft der Eltern ein, in dem Mama Waltraud nun bereits seit 32 Jahren Lederhosen näht und repariert. Nachdem Heidi gemeinsam mit ihrer Mutter fünf Jahre lang Hose für Hose, Rock für Rock und Jacke für Jacke gefertigt hatte, wurde es Zeit für die Meisterprüfung. „Als ich mich anmeldete, war ich die erste Kandidatin seit einem Jahrzehnt. Die mussten erst eine Prüfungskommission zusammenstellen, ehe ich antreten konnte“, erzählt sie.

Aber dann ging es ruck, zuck. Heidi Wimmer absolvierte die Meisterprüfung vor fünf Jahren mit Auszeichnung. Die Herren der Kommission sagten, es sei ihnen eine Ehre, die junge Frau in den Kreis der Säcklermeister aufzunehmen. Übrigens: Ihr Meisterstück, die „Lederne“, trägt sie bis heute – gern und vor allem oft. „Eine Lederhose kannst fast jeden Tag tragen, ein ganzes Leben lang. Man wäscht sie nicht, bügelt sie nicht, sondern lässt sie zwischendurch einfach auslüften.“ Nur zu ihrer Hochzeit vor drei Jahren, da erschien Heidi dann doch ganz in Weiß.

90 STUNDEN UND VIEL GEDULD

An einer handbestickten Ledernen arbeitet die Säcklerin einige Wochen, allein für die Stickerei braucht es an die 90 Stunden. Einfachere Hosen gehen schneller und sind ab 600 Euro zu haben, für eine Handbestickte ist mit dem Fünffachen zu rechnen, mindestens. Für ein solches Stück muss man sich außerdem in Geduld üben. Es kann schon ein Dreivierteljahr dauern, ehe man in seine handbestickte Wimmer-Lederhose schlüpfen kann, selbst die flinke Heidi hat eben nur zwei Hände.

WIE DAS SÄMISCHLEDER ENTSTEHT

Während sie näht, stickt und zwischendurch Kundschaft bedient, schwitzt ihr Vater Martin Wimmer in seiner Gerberei und sorgt für ledernen Nachschub. Die Tierfelle, in der Fachsprache Decken genannt, bekommt er von Wildbrethändlern. Für eine Hose werden zwei Hirschdecken oder vier von der Gams gebraucht. Diese sollten außerdem vom gleichen Geschlecht und auch aus der gleichen Jahreszeit stammen. „Eine Winterdecke ist anders strukturiert als eine Sommerdecke. Wobei ich nur Sommerdecken bearbeite, denn sie sind qualitativ besser“, sagt der Gerbermeister. Auf die Schnelle geht jedenfalls nichts. Es dauert sechs Monate, ehe aus einem Wildfell feines Sämischleder entstanden ist und auf Heidis Tisch in der Werkstatt landen kann. Hinter der Arbeit stecken große Mühen, da muss der Gerber selbst zäh wie Leder sein. Es braucht viel Gefühl, Kraft, Wissen, Geduld und Erfahrung. Und Leidenschaft. Meister Wimmer vereint alles. „Es ist ja eigentlich keine schöne Arbeit“, sagt der 63-Jährige. „Es ist nass, es stinkt und es staubt. Aber wenn ich dann das Endprodukt in der Hand hab, dann weiß ich, wofür ich mir das antue.“

Die alte Handwerkskunst prägt seit fast 125 Jahren die Wimmer’sche Familiengeschichte. Meister Martin Wimmer arbeitet wie seine Vorfahren nach traditioneller Methode: Im Gegensatz zur industriellen Gerbung mit Chromsalzen verwendet er nur natürliche Mittel. Deshalb ist sein Leder so begehrt, darum bringen ihm die Jäger auch gerne Hirschdecken. „Eine Hose aus der eigenen Decke ist für einen Weidmann natürlich etwas ganz Spezielles“, sagt Martin Wimmer, selbst Jäger. Am Anfang jedes Gerbvorgangs werden die Rohhäute zugeschnitten und landen dann zwecks Konservierung bis zu ihrer Verarbeitung im Salz. Dann werden sie in riesigen Holzfässern gewaschen und anschließend getrocknet. Danach kommt Kalk zum Einsatz, wodurch die Haare entfernt werden.

70-MAL DURCH SEINE HÄNDE

In einer weiteren Riesentrommel, dem Kalkäscher, findet die Vorbereitung für die Gerbung statt, der Hautaufschluss, damit das Fischöl gut eindringen kann. Die vorbereiteten Felle werden mit dem Fischtran (= Sämisch) vier Stunden im Fass gewalkt, anschließend zum Trocknen aufgehängt und auseinandergezogen. Dieser Vorgang wird dreimal wiederholt, bis die Teile schlussendlich auf dem Dachboden aufgehängt werden. Das kann ganz schön streng riechen, nach Lebertran eben. „Hier entsteht das Sämischleder durch Oxidation an warmer Luft. Je mehr Tran das Leder aufnimmt und je länger es trocknet, desto besser“, erklärt Meister Wimmer, der jedes Stück 70-mal in die Hand nimmt, ehe es die Gerberei verlassen kann. Danach kommen die Stücke in den „Maschinenraum“. Sie werden hydraulisch gedehnt, nachdem sie sich durch das Waschen und Trocknen zusammengezogen haben. Schließlich wird geschliffen, dabei staubt es gewaltig. Eine wichtige und heikle Arbeit, weil dadurch das Velours gebildet wird. Schleift man zu viel weg, ist alles kaputt. Bevor es dann auf dem Färbertisch landet, wird das Leder noch mit Druckluft entstaubt. Erst dann kann Martin Wimmer mit Naturholzfarben – Blauholzextrakt und Eisen ergeben das typische „Altschwarz“ für die steirische Lederhose – ans Werk gehen. Viermal bürstet er insgesamt Farbe ins Leder, dazwischen muss er es jeweils wieder aufhängen, trocknen und vor der nächsten Färbung abermals im Walkfass aufrauen, damit die Haut nach dem Trocknen weich bleibt. „Wenn’s ans Färben geht“, sagt Martin Wimmer, „bin ich froh, weil das ist die schönere Arbeit. Obwohl die auch ganz schön ins Kreuz geht.“ Den Gedanken, dass er einmal die Arbeit aufgeben muss, weil es körperlich nicht mehr geht, schiebt er lieber ganz weit weg. „Aufhören wird mir sehr schwerfallen.“ Derzeit bleibt aber eh noch alles beim Alten und Wimmer die einzige Lederhosenerzeugung mit eigener Sämischgerberei in Österreich.

HANDWERKSGESCHICHTE:
Vom Sack zur Hose

Die Wurzeln des selten gewordenen Handwerks reichen weit zurück. Der
Begriff „Säckler“ wurde schon im 8. Jahrhundert erwähnt. Damals fertigten Säckler tatsächlich Säcke aus Leder an, in denen etwa Erz oder Lebensmittel befördert und aufbewahrt wurden.

Im Laufe der Zeit wurde der Säckler immer bedeutender und erzeugte auch Taschen, Handschuhe und schließlich Bekleidung. In Österreich gibt es heute 37 Betriebe, die Leder verarbeiten.

Ein Merkmal für eine handgefertigte Lederhose ist die sogenannte  Säcklernaht. Sie entsteht, weil beim Zusammenfügen zweier Teile ein heller Lederstreifen dazwischengelegt und von außen vernäht wird. Die Naht ist ein typisches Zeichen für die steirische Lederhose.

DAS BRAUCHT DIE LEDERNE:
Viel Patina, wenig Pflege

Auch bei sorgfältigster Gerbung weisen Lederstücke oft Unregelmäßigkeiten auf. Diese gehören aber dazu, es sind Narben von Verletzungen, die sich ein Hirsch während seines Lebens in freier Natur zugezogen hat. Heidi Wimmer empfiehlt, sich über Flecken auf der (neuen) Lederhose nicht zu kränken, sie gehören auch dazu. Nicht rubbeln oder putzen. Eine echte Hirschene will getragen werden und ist für jeden Anlass geeignet. Sämischlederhosen specken nicht wie andere, sie werden nur heller und bekommen Charakter.

„Erst die patinierte Lederhose zeichnet ihren Träger aus.“ Wer seine Lederhose wirklich schonen und möglichst fleckenfrei halten möchte, achte darauf, „sie von allem Fetten und Sauren wie Zitrusfrüchten, Wein, Essig und Pissoiren fernzuhalten.“ Auch Waschmaschine, Trockner, Heizung, Bügeleisen, Bürste oder Reinigung sind tabu. Wer in den Regen gekommen ist, solle die Hose langsam und schonend bei Zimmertemperatur trocknen. „Sobald sie dann nur mehr leicht feucht ist, die Hose Leder auf Leder durchkneten und anziehen. So bleibt sie geschmeidig und weich.“

Gerberei und Lederbekleidung Wimmer
Grazer Straße 8, 8630 Mariazell
Tel.: +43 3882 22 81
www.lederhosen-wimmer.at

 

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