Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Jänner 2017
Fotos: Philipp Horak
Frau Doktor ist jetzt glücklicher. Für ihre Leidenschaft hat Barbara Schmidt ihren Beruf als Juristin an den Nagel gehängt. Nun stellt die begeisterte Weberin im niederösterreichischen Nonndorf wunderbare Teppiche her.
Der Krach ist gewaltig. Es knarrt, es es klappert, es poltert – die Frau scheint sich einen wilden Kampf mit dem Monstrum zu liefern. Mit voller Kraft und die Beine fest gegen den Webstuhl gestemmt, reißt sie den Querbalken zu sich, wobei sie sich soweit nach hinten beugt, als würde sie umfallen. Dreimal hintereinander macht sie das. Dreimal hintereinander bei ohrenbetäubendem Lärm. Schon meint man, die ganze Gerätschaft würde auseinander brechen. Doch nichts dergleichen passiert. Nach der Anstrengung wird in aller Ruhe das Schiffchen durch die Fäden gezogen und die Wolle sorgsam aufgezupft – ehe der strapazvolle Teil von neuem beginnt.
Wir sind in der Werkstatt bei Barbara Schmidt, die auf diese Art Zentimeter für Zentimeter an einem neuen Teppich webt. „Für meine Arbeit brauche ich viel Kraft, sie ist zugleich mein Fitnesstraining“, sagt sie und klopft fast zärtlich auf das Holz ihres riesigen Webstuhls. „Ein richtiges Ungetüm ist er, schon mehr als 35 Jahre alt, aber er hat mich noch nie im Stich gelassen.“
WARM, WEICH UND UNVERWÜSTLICH
Barbara Schmidt betreibt in Nonndorf bei Gars am Kamp ihre „Wollschmiedn“, benannt nach dem von ihr verwendeten Arbeitsmaterial und ihrem Familiennamen. Und weil in ihrem Betrieb natürlich auch immer wieder Pläne geschmiedet und in die Tat umgesetzt werden. Hier entstehen große, kleine, lange, breite, unauffällige oder kunstvoll verzierte Teppiche in allen Farben. „Ich verwende ausschließlich Wolle von heimischen Schafen. Sie ist wunderbar: warm, weich und nahezu unverwüstlich“, schwärmt Barbara. „Die Teppiche sind sogar fürs Badezimmer geeignet, weil ihnen nicht einmal Nässe etwas anhaben kann. Schafe wissen eben, was sie anziehen.“
Das Weben von Teppichen beruht auf einer uralten Technik, bei der mindestens zwei Fadensysteme, die Kette (Kettfaden) und der Schuss (Schussfaden) rechtwinkelig verkreuzt werden. Dieses zweireihige Geflecht ist die Grundlage der Weberin, die nun ihr Arbeitsgerät schon wieder malträtiert, dass es nur so wackelt. „Das Gewebe wird dadurch dichter und kompakter“, erklärt die Meisterin. Sollen am Teppich kleine erhabene Knoten entstehen, zupft Barbara vor dem Kraftakt die Wollfäden nach oben. Und so geht es Schuss für Schuss, wie die Expertin sagt, weiter, bis der Teppich die gewünschte Länge hat. Dazwischen muss sie die Ränder kontrollieren, damit das Stück gerade wird und sich nicht verzieht. Für einen Meter Länge braucht Barbara vier bis fünf Stunden.
DA WAR ES MIT DER JURISTEREI VORBEI
Obwohl ihre Arbeit anstrengend ist, kann sich die 46-jährige keine andere mehr vorstellen. Die studierte Juristin, die früher in der Banknotendruckerei Verträge aufsetzte, hat dafür sogar ihren Beruf an den Nagel gehängt.
„Auslöser war ein Zeitungsbericht über einen alten Mann, der Fleckerlteppiche fabrizierte. Das Foto hat mich so berührt, dass ich mich auf die Suche nach einem Webstuhl machte“, erzählt Barbara, die damals nicht die geringste Ahnung von diesem Handwerk hatte. Sie probierte es einfach aus, erlernte schließlich die alte Webkunst von der Pike auf – und wurde Weberin.
Ihre Mutter nahm diesen Schritt gelassen. Ihr Vater, ein Tischlermeister, nicht. Er war geschockt. „Wie kann man die Juristerei aufgeben? Da haben wir dich studieren lassen und jetzt haust alles hin und wirst Handwerkerin“, waren seine Worte. „Als dann auch noch meine Gewerbeanmeldung ausgerechnet auf seinen Geburtstag fiel, war er ziemlich sauer“, sagt Barbara, die als Versöhnungspräsent einen Teppich für seinen Hund überreichte. Mittlerweile hat sich der Herr Papa allerdings nicht nur damit abgefunden, dass seine Tochter in der Weberei ihr berufliches Glück gefunden hat, er ist sogar mächtig stolz auf sie.
Der in die Jahre gekommene Webstuhl passt übrigens gut in den 300 Jahre alten Bauernhof, in dem Barbara und ihr Mann Thomas nun schon seit sechs Jahren mit ihren Kindern Leon und Lilli leben.
IM SCHWEINESTALL RIECHT’S HEUTE GUT
Die Werkstatt hat sich die Wollschmiedin im ehemaligen Schweinestall eingerichtet. Im einstigen Pferdestall wiederum kann sich ihr Mann Thomas, er ist Kupferstecher und Maler, künstlerisch entfalten. Seiner Frau steht er zwar auch als Designer von Teppichmotiven zur Seite. Jeder hat aber seinen vom Wohnbereich abgetrennten Bereich. „Da störe ich niemandem mit dem Krawall“, sagt die Wollschmiedin, lacht und richtet sich ihr rosa Haarband zurecht. Sie liebt ihren Arbeitsplatz, an dem es „so gut nach Wolle riecht“. Und den auch ihre Katzen gern zum Kuscheln aufsuchen. Fünf tollen derzeit am Hof herum. „Sie sind uns alle zugelaufen oder vors Tor gelegt worden“, sagt Barbara. Die Katzen Blitz und Donner zum Beispiel tauchten völlig verschreckt und abgemagert während eines Gewitters auf – deshalb heißen sie so.
DIE KUNST TEPPICHE ZU TÄTOWIEREN
Wenn Barbara nicht webt, setzt sie sich an den großen Holztisch und tätowiert fertige Teppiche. Sie tätowiert Teppiche? Ja, das ist ihre Erfindung – und eine Heidenarbeit. Dafür bedient sich die 46-Jährige der Nadelfilztechnik, eine alte Methode, die sie mit neuen Ideen belebt. Dabei werden Motive in den Teppich eingearbeitet. Je nach Wunsch können das Weinreben, Rosen, Wappen, Flaggen, Tiere und Pflanzen sein. Oder Herzen für einen Hochzeitsteppich. Mit einer Nadel sticht sie dann das vorgezeichnete Motiv aus Schafwollvlies in den Teppich. Dieses wird in acht bis neun Schichten eingearbeitet, wie von Zauberhand verbinden sich diese dann miteinander und auch mit dem wollenen Webstück. Am Ende prangt ein Löwe oder eine Fahne deutlich erhaben auf dem fertigen Teppich. „Die Tätowierung ist fix mit dem Teppich verbunden, man kann darauf gehen und drübersaugen. Da rührt sich nix“, sagt Barbara, die ein wenig stolz ist auf ihr Kunstwerk, dessen Herstellung ganz schön in die Finger geht. Das ist aber nicht der Grund, warum sie am jüngsten Exemplar, jetzt nicht mehr weiterarbeitet. Vielmehr will sie ihre Technik den Besuchern vorführen, die sie erwartet. Jeden Donnerstag ist nämlich Tag des offenen Ateliers in der Wollschmiedn. Da kann dann jeder in Barbaras Welt eintauchen und staunen wie sie es an ihrem Webstuhl wieder kräftig krachen lässt.
WÄRMENDE WINDSBRAUT
Selbst Wollabfälle finden bei der Weberin Verwendung. Barbara dreht sie zu einem dicken Zopf, den sie Windsbraut nennt, und der als Tür- oder Fensterpolster verwendet wird. Eisiger Wind, und auch wenn er sich noch so sehr bemüht durch die Ritzen zu kriegen, wird so von der Waldviertler Windsbraut ausgesperrt.
Waldviertler Wollschmiedn, Barbara Schmidt
Nonndorf 6, 3571 Gars am Kamp
Tel.: +43 664 40 33 889.
Tag des offenen Ateliers:
Jeden Donnerstag von 10 bis 15 Uhr.
www.wollschmiedn.at
Kurse:
Auch Teppichweben oder -tätowieren kann erlernt werden.
Information und Anmeldung unter: workshop@wollschmiedn.at