Der Raxkönig

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Juni 2015
Fotos: Philip Platzer

Das ist die Geschichte von Georg Hubmer, einem armen Holzknecht aus Gosau, der durch Willenskraft, Erfindergeist, Fleiß und Unerschrockenheit in Niederösterreich zum reichen Mann wurde.

Es war einmal … Vor langer, langer Zeit, da lebte im oberösterreichischen Gosau ein Bub namens Georg Hubmer. Er war so arm, dass er nicht einmal eine eigene gute Hose besaß. Die einzige Lederhose, die sich seine Eltern leisten konnten, musste er mit seinen zwei Brüdern teilen. So kam es, dass die Buben abwechselnd nur alle drei Wochen den Gottesdienst besuchen konnten.

Die Familie lebte so kärglich, dass die Kinder nicht zur Schule gingen und weder Lesen noch Schreiben lernten. Stattdessen wurden sie schon früh in die Arbeit geschickt, um zum Familieneinkommen beizutragen. Als in der Gegend kein Verdienst mehr zu finden war, ging der inzwischen 17-jährige Georg mit seinem um drei Jahre älteren Bruder Johann in die Fremde, um der wirtschaftlichen wie auch religiösen Not zu entgehen.

Die beiden stammten aus einer geheimprotestantischen Familie wie viele andere Gosauer auch. Dort hielt sich nämlich der neue evangelische Glaube hartnäckig, obwohl Strafen und Zwangsaussiedlung darauf standen. Die Gosauer Protestanten ließen sich in anderen österreichischen Gegenden nieder oder wanderten nach Siebenbürgen oder Ungarn aus.

Ein kaum betretener Urwald

Man schrieb das Jahr 1772, als die märchenhafte Geschichte begann, in der der arme Bursch Georg durch seine Leistungen und seinen Erfindungsreichtum zum „König“ eines ganzen Gebietes um Rax und  Schneeberg erkoren wurde – weil er Arbeit in die Gegend und Holz in die Stadt brachte. Die auf Wanderschaft befindlichen Hubmer-Brüder fanden bald Arbeit als Holzknechte und Holzschwemmer in der Region von Lunz bis Eisenerz. Sie hatten einiges an Erfahrung gesammelt, als sie 1782 vom Grafen Hoyos nach Naßwald bei Schwarzau gerufen wurden. Es handelte sich um einen ausgedehnten, kaum betretenen Urwald, an dem bisher die ansässigen Holzknechte gescheitert waren.

Mit ihren evangelischen Landsleuten aus Gosau gingen die Hubmers an die als undurchführbar geltende Arbeit, also an die Schlägerung im Rax- und Schneeberggebiet sowie den Transport des Holzes auf dem Wasserweg.
„Sie bauten am Naßbach und an der Schwarza mit Brettern und Balken hölzerne Kanäle und errichteten Klausen, um Wasser aufzustauen. Alles von Hand der Männer, die nur einfache Hilfsmittel wie Äxte, Zugsägen, Keile oder Hacken hatten. Motorgetriebene Geräte waren noch nicht erfunden“, erklärt Peter Lepkowicz, Chef der Forstverwaltung Naßwald und Hüter der I. Wiener Hochquellenwasserleitung (hauptberuflich) sowie der Hubmer-Gedächtnisstätte (nebenberuflich).

Wie das Holz bis nach Wien kam

Nach der harten Schufterei und dem Einsetzen der Schneeschmelze im Frühjahr wurden die oberhalb der Klausen (Stauelemente) aufgestapelten Holzmassen ins Bachbett eingebracht und von den Fluten mitgerissen. Flüsse und Bäche wurden als Transportmittel für das Holz benützt.

Georg Hubmer tüftelte einen Plan aus, nach dem es schließlich gelang, das  Holz bis ins 125 Kilometer entfernte Wien zu bringen. Etwa die Hälfte der Strecke legten die Baumstämme frei schwimmend zurück; für die andere Hälfte organisierte Georg Hubmer den Holztransport mit Schiffen auf dem Wiener Neustädter Kanal. „Eine Meisterleistung, an dessen Gelingen nur er selbst und seine Holzknechte geglaubt hatten. Vollbracht von einem  Analphabeten, der sich mit den Jahren selbst Schreiben, Lesen und Rechnen beibrachte“, erzählt der ehemalige Naßwalder Schuldirektor Josef Flug. Damit war die Versorgung mit Brennmaterial für die zahlreichen Hammerwerke auf der Strecke bis Wien gesichert. Dadurch konnten die Kohlenmeiler rauchen, die Öfen brennen und die Eisenhämmer stampfen.

Was die Menschen leisteten, kann man heute nur noch erahnen, wenn man das Gelände rund um Naßwald betrachtet. Der Ort liegt eingebettet zwischen Wäldern und Bergen. Vor mehr als 230 Jahren war da aber nur dichter, dunkler Wald. Kein Weg, kein Pfad führte durchs sogenannte Höllental. Die Arbeit der Holzknechte im Gebirge verlangte viel Kraft und Verstand. Trauerbilder und Marterln an den Wegen bezeugen, dass bei dieser gefährlichen Tätigkeit der Tod ständiger Begleiter war. Die Leute mussten erst mühsam Fußsteige auf Eisenträgern entlang der Felswände errichten oder über Abgründe klettern. Vieles ging im Hängen und Schweben, im Kriechen und Klimmen – gesichert höchstens mit einem Strick um den Leib – vor sich.

Die Glaubensinsel im Urwaldtal

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrschte Energieknappheit, somit war Holz kostbar. Der Brennstoffmangel war eine Folge des raschen Bevölkerungszuwachses in den Städten und des Aufblühens der Industrien. Man brauchte immer mehr davon – zum Bauen, Heizen und für die Gewinnung von Kohle. Bald fehlte es an Köhlern und Holzknechten. Angehörige dieser Mangelberufe wurden sogar vom Militärdienst befreit. Georg Hubmer und seine protestantischen Holzknechte aus dem Salzkammergut holten ihre Familien nach und siedelten sich in Naßwald an. Nachdem 1781 das sogenannte Toleranzpatent erlassen wurde, durften sie sich zu ihrem Glauben bekennen.

Sie gründeten im Urwaldtal am Naßbach eine evangelische Holzknechtsiedlung. „Der Ort wurde zu einer Glaubensinsel inmitten des katholischen Landes“, erzählt Josef Flug. „Jahr für Jahr schlägerten sie nun Holz an den Hängen von Rax, Schneeberg, Schneealpe und Sonnleitstein und schwemmten die Stämme und Scheiter zu tausenden Klaftern Richtung  Wien.“ Zuerst unter der Führung beider Brüder, nach dem frühen Tod des älteren, Johann, unter alleiniger Leitung von Georg. Mit den von ihnen entwickelten Holzbringungseinrichtungen waren sie allseits bekannt und  richtungsweisend fürs ganze Land.

Im jährlichen Arbeitsrhythmus – Sommer und Herbst schlägern, Winter zu Tal holzen und im Frühjahr schwemmen – lieferte man aus den Wäldern das  begehrte Brennmaterial. „Durch die Tüchtigkeit und Verlässlichkeit der Holzknechte kamen Sicherheit und ein relativer Wohlstand in die Siedlung“, sagt Josef Flug.

Ein Tunnel musste her

Holz wurde so knapp, dass man kaiserliche Kommissäre durchs Land schickte, um weitere Wälder ausfindig zu machen und in das brennstoffhungrige Wien zu melden. So wurde auch der Neuwald in Lahnsattel entdeckt, eine undurchdringbare Wildnis, ebenfalls im Besitz der Familie Hoyos. Der Neuwald liegt vis-à-vis des Naßwaldes, getrennt durch einen 1.134 Meter hohen Berg,
das Gscheidl. Von Hoyos erhielten die Brüder Hubmer den Auftrag, für vier Gulden pro Klafter und auf eigenes Risiko 14.000 Klafter (46.000 Kubikmeter) Holz jährlich abzuliefern. Das Unternehmen gelang, die „Huebmer’sche Schwemm-Compagnie“ war gegründet, der Wohlstand wuchs. Vorerst wurde das Holz im Winter mit Schlitten zum Gscheidl gebracht, im Sommer mittels Holzaufzug auf die Höhe gezogen und anschließend über die Bäche bis Wiener Neustadt getriftet.

1808 erreichte erstmals Holz aus dem Neuwald Wien – und Georg Hubmer wurde Wiens wichtigster Energieversorger. Es waren aber nur die höchsten Bestände des Waldes für den Transport geeignet. Was tun in den unteren Gefilden? Georg Hubmer studierte und studierte, ebenso der gräfliche Oberjäger Grabner. Er hatte schließlich die Idee mit dem Loch durch den Berg – die Lösung: Ein Tunnel musste her.

Es war jedoch die Zeit, in der Napoleon wütete. „Von der Planung 1811 bis zum Bau waren vor allem Krieg, Unwetter, Hungersnot und Geldentwertung hinderlich“, sagt Josef Flug. Georg Hubmer ließ sich nicht unterkriegen. Ohne einschlägige Messtechniken und Rechenkünste zu beherrschen und ohne jegliche Erfahrung im Bergbau berechnete er mit selbst gebauten  Instrumenten den Tunnel, der von beiden Seiten vorgetrieben werden sollte, damit es schneller gehe. Hubmer war schließlich nicht mehr der Jüngste, er wollte die Fertigstellung erleben.

Am 18. August 1822 wurde der Tunnel von zwei Seiten her angeschlagen. Nach fünf Jahren, am 8. März 1827, trafen die gleichzeitig grabenden Bergarbeiter exakt aufeinander – Europas mit 430 Metern längster Tunnel war fertig. Durch ihn konnte das Holz ins Tal und weiter nach Wien geschwemmt werden. Der inzwischen 72-jährige Georg Hubmer hatte eine ingenieurtechnische Pioniertat vollbracht.

Die Sache mit den runden Fenstern

Bereits 1801 erwarb Georg Hubmer einen prächtigen Hof, den er für sich um- und ausbaute. Auch für seine Holzknechte ließ er Unterkünfte errichten, später dann ein Bethaus, eine Schule und ein Wirtshaus. Neben dem Holzgeschäft war er auch Vorstand der stetig wachsenden Zahl von Holzknechtfamilien, für die er Arbeitgeber, Krankenkasse, Pensionsvorsorge, Richter und Rechtsvertretung war.

Georg Hubmer wurde zum Vater von mehr als 400 Beschäftigten, zum Vater von Naßwald. Ein sozial denkender Mensch, der seine Herkunft nicht  vergessen hatte. „Er ist Patriarch im Naßwalde von einem ganzen Volksstamme, und sein Name ist in ganz Österreich, ja sogar im Auslande bekannt“, notierte 1813 Pfarrer May.

Georg Hubmer war einfallsreich, risikofreudig und geschäftstüchtig. Er war zweimal verheiratet und hatte sechs Kinder. Und er war ein Mann, der sich nichts dreinreden ließ, auch nicht von der Obrigkeit. Durch seine selbstbewusste Art kam Hubmer oft in Schwierigkeiten mit der Beamtenschaft. So auch beim Bau des Bethauses, das der stolze Bauherr mit Rundbogenfenstern ausstattete. Diese jedoch widersprachen der Vorschrift, und die kaiserlichen Beamten sowie die katholische Obrigkeit liefen Sturm dagegen. Ein evangelisches Bethaus durfte keine Ähnlichkeit mit einer katholischen Kirche aufweisen – und daher keinen Turm, keine Glocke und keine Rundbogenfenster haben.

Bis zum damaligen Kaiser Franz drang die Sache, dem Georg Hubmers Beharrlichkeit – „Die Fenster bleiben rund!“ – imponierte. Außerdem konnte Wien nicht ohne den Energielieferanten auskommen. Also soll der Kaiser den Befehl ausgegeben haben, „Man lasse mir meinen Raxkönig in Ruhe“ – und die Fenster blieben rund.

Das Ende einer Epoche

Der ehemalige Holzknecht Georg Hubmer starb am 20. März 1833 mit 78 Jahren als reicher, hoch angesehener Mann. Sein letztes Werk war die Errichtung eines eigenen Friedhofs für die evangelischen Bewohner der Gegend. Er war der Erste, der hier begraben wurde. Neben seinen Kindern und Familienangehörigen gaben ihm 500 Holzknechte, Schwemmleute und Bergmänner das letzte Geleit.

Damit endet nicht nur die märchenhafte Geschichte des Raxkönigs, sondern auch eine ganze Epoche. Landauf, landab wurden Straßen und Bahnstrecken errichtet. „Die Schwemmzeit war vorbei, als die Dampflok unterwegs und die Semmeringbahn fertig war. Das Brennmaterial konnte nun einfacher und rascher befördert und auch aus den Kronländern herangebracht werden“, sagt Peter Lepkowicz. „Aber Naßwald ist heute noch ein Holzknechtdorf – die  Menschen hier leben direkt oder indirekt von Holz und Wasser.“ Denn einst diente das Wasser dem Holz, heute dient das Holz (der Wald) zur Reinerhaltung dem Wasser.

Aus der Küche des Raxkönigs: Holzknechtgerichte

Saure-Milchsuppe
¼ l saure Milch, 1 EL Mehl, ¼ l Wasser, Salz, Kümmel, 1 Scheibe Schwarzbrot
Saure Milch mit Mehl versprudeln und in kochendes, gesalzenes Kümmelwasser einkochen.
Einlage: geröstete Schwarzbrotwürfel.

Nasswalder Sterz
150 g griffiges Mehl, Salz, ⅛ l Wasser, Fett (Schmalz)
Mehl salzen, mit kochendem Wasser abbrühen, zu einem Teig verrühren und ins heiße Fett geben. Nach leichtem Anschmoren mit dem „Muaser“ (Schmarrnschaufel) zerstochern. Man kann in den Sterz auch Beeren oder Äpfel mischen. Dazu: Milch, Kaffee, Kompott oder Milchsuppe.

Erdäpfelsterz
Gekochte Erdäpfel, Zwiebel, Fett
Gekochte Erdäpfel schälen und blättrig schneiden. Zwiebel in Fett anrösten und mit den Erdäpfeln braun rösten. Dazu: Rahmsuppe oder Kaffee.

Goldhahndl
2 kleine Schalen Mehl, Salz, Milch, 2–3 Eier, Fett, Zucker
Aus Mehl, Salz, Milch und Eiern einen weichen Teig machen und mit dem Löffel Nockerl ins heiße Fett legen. Goldgelb backen und anzuckern.

Vom Holzknecht zum Patriarchen – Georg Hubmer
Der gebürtige Gosauer ist der berühmteste österreichische Holzknecht, der es bis zum Großunternehmer brachte. Sein Name ist auch als Huebmer, Hubner oder Huebner überliefert.

Bereits zu seinen Lebzeiten ist die Familie zur Schreibweise Hubmer übergegangen. Mit seinen Holzknechten gründete er die evangelische Siedlung Naßwald bei Schwarzau in der Nähe des Höllentals. Er ist der Erbauer des damals längsten Tunnels in Europa, der heute verschüttet ist. Nur noch der Eingang und einige Reste sind am Gscheidl zu sehen.

In seiner Gedächtnisstätte, einer nachgebauten Holzknechthütte mitten im Ort Naßwald, kann man Leben und Wirken des Raxkönigs nachvollziehen.

Geöffnet: 1. Mai bis 31. Oktober jeden Samstag, Sonntag und Feiertag, 13 bis 17 Uhr.

Einmal im Jahr wird auf dem Gscheidl beim Hubmer-Stollen ein Berggottesdienst gefeiert, für den die Menschen einige Stunden Fußmarsch in Kauf nehmen.

Mit dem Roman „Der Raxkönig“ setzte der österreichische Autor Ottokar Janetschek 1929 Georg Hubmer ein Denkmal. Der Roman ist in Neuauflage erhältlich.

Nasswald bei Schwarzau
Die Gemeinde liegt am Fuß von Rax und Schneeberg in der Nähe von Hirschwang und Reichenau an der Rax. Ein Großteil der Region ist Wasserschutzgebiet und im Besitz der Stadt Wien. Von hier kommt das Trinkwasser der I. Wiener Hochquellenwasserleitung.

 

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