Auch für die emotionale Intelligenz braucht es den Kopf

Wer mit eigenen Gefühlen und anderen Menschen gut umgehen kann, gilt als intelligent und hat die Kompetenzen für den persönlichen Erfolg.

Intelligenz ist ein zugkräftiges Schlagwort. Mit ihm werden Produkte  beworben, Stimmungen beschrieben oder Leistungen kommentiert. Intelligenz kommt gut an, weil sie vondenmeisten Menschen als etwas Relevantes angesehen wird. So ist von emotionaler, sozialer, praktischer, multipler, naturalistischer, existenzieller und natürlich auch sexueller Intelligenz die Rede. Die Liste reicht aber noch von naturalistischer über musikalisch-rhythmischer bis zu intra- und interpersonaler Intelligenz.

Und trotzdem ist alles eins. Denn ohne die Basis der kognitiven Intelligenz läuft wenig im Köpfchen. „Ich weiß schon, das hören die Leute nicht gern, aber die kognitive Intelligenz ist eines der stärksten Konstrukte überhaupt. Sie prägt am meisten“, erklärt Universitätsprofessor Aljoscha Neubauer, Leiter der Abteilung für Differentielle Psychologie an der Uni Graz. „Der IQ ist die  erklärungsmächtigste Variable für den Erfolg eines Menschen.“ Emotionale Intelligenz (EQ) steht hingegen für die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen. Der  Wissenschaftsjournalist Daniel Goleman machte sie 1995 mit seinem Bestseller EQ: Emotionale Intelligenz bekannt. Mit dem EQ sind eine Reihe von Eigenschaften und Kompetenzen wie Mitgefühl, Kommunikationsfähigkeit, Menschlichkeit, Teamfähigkeit, Wertschätzung, Respekt, Takt, Höflichkeit verbunden. Man könnte sie auch unter dem Begriff „Herzensbildung“ zusammenfassen.

Nach Goleman seien diese Eigenschaften ausschlaggebend für das Fortkommen. „Das ist wissenschaftlich nicht haltbar“, sagt der Intelligenzforscher. Es gebe keine Hinweise, wonach der EQ für den Erfolg eines Menschen wichtiger sei als der IQ, der für eigenständiges Denken, Durchschauen, Logik und Kausalität steht.

Forschung

„Messen lässt sich  nur die kognitive Intelligenz“, so Neubauer. „Das heißt aber nicht, dass emotionale oder soziale Fähigkeiten nicht wichtig sind. Dabei handelt es sich um Kompetenzen. Und diese können umso besser erworben werden, je mehr kognitive Intelligenz vorhanden ist.“ Emotionsmechanismen und Emotionsstrategien sind seit Jahrzehnten Forschungsgebiet der Psychologie. Neubauer: „Aber erst seit man das Ganze EQ nennt, ist es spektakulär. Die emotionale Intelligenz ist also alter Wein in neuen Schläuchen.“ Intelligenz habe viel mit Schule und Schulsystem zu tun. Um die „kognitiven Schätze“ jedes Einzelnen zu heben, braucht man die besten Schulen. „Deshalb ist die Bildungsdebatte so wichtig. Denn jetzt zu sagen, wir  fördern verstärkt die emotionale Intelligenz, wird die Gesellschaft nicht voranbringen, so lange wir die kognitiven Bereiche vernachlässigen“, so der Professor (siehe Zusatzbericht).

Definition

Anlässlich einer Gedenkfeier zur Befreiung des KZ Gunskirchen, hat Gerhard Bronner (1922-2007) folgenden Vergleich angestellt: Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus.
Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi. „Dieses Zitat beinhaltet eine klare und nachvollziehbare Aussage. Schade, dass diese nicht die anerkannte Definition von Intelligenz ist“, sagt die Wiener Psychologin Beate Handler. „Intelligente Menschen hinterfragen Dinge, statt sie einfach  hinzunehmen.“ Sie setzen nicht nur ihr Hirn ein, sondern bedienen sich auch ihres Einfühlungsvermögens – ihrer emotionaler Kompetenzen. Und um mit diesen richtig umzugehen, bedarf es Übung und Erfahrung. Wer Jähzorn oder Wut nicht beherrschen kann, wird sich immer wieder den Kopf anrennen und sich viel verbauen.

„Man kann aber lernen, das zu ändern. Mit der Zeit weiß man sehr wohl,  welches Verhalten angemessen ist, um mit anderen Menschen auszukommen und im Gespräch zu bleiben“, sagt Handler. Es sei eine wichtige Aufgabe der Erwachsenen, den Kindern emotionale Kompetenz und soziales Bewusstsein vorzuleben.

Gefühl

Es reicht aber nicht aus, nur gefühlvoll zu sein. Über emotionale Kompetenz zu verfügen kann sowohl bedeuten, warmherzig und verständnisvoll zu sein, aber
wenn die Notwendigkeit besteht, eine Entscheidung zu treffen und durchzuziehen, auch dafür die notwendige Durchsetzungskraft aufzubringen“, so die Psychologin. Und manchmal fallen Entscheidungen einfach aus dem Bauch heraus. „Unser Gefühl kann uns doch nicht täuschen und trifft immer die richtige Entscheidung, denken wir. Doch es ist kaum zu glauben, auch  diesem intuitiven Gefühl gehen Gedanken voraus“, sagt Beate Handler. „In bestimmten Lebenssituationen sind unsere Sinne besonders wachsam und wir gleichen viele kleine Signalreize mit unseren Erfahrungen ab.“ Haben wir etwa das Gefühl, dass jemand Böses im Schilde führt, sagt uns das in Wahrheit nicht der Bauch, sondern unser Gehirn, das unsere Lebenserfahrungen abruft. Das ist doch großartig – intelligent eben.

Wie der Mensch denkt

Die Psychologin Beate Handler geht in ihrem Buch „Wie der Mensch denkt“ der Frage nach, wie wir Entscheidungen treffen und welche Streiche uns unser Gehirn spielt. Für KURIERLeser hat sie ein „intelligentes“ Wohlfühlprogrammerstellt.

Hier ihre Tipps:

Quotient

Ein hoher Intelligenzquotient ist nicht das Wichtigste. Fast alle Menschen haben zahlreiche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Stärken, sodass sie es sich leisten können, schmunzelnd über dem Thema IQ zu stehen. Genial ist der, der weiß, dass er nicht alles wissen kann, oder auch gar nicht wissen will.

Emotion

Wer über emotionale Kompetenz verfügt, mit anderen gut kann und erfolgreich durchs Leben geht, ist unweigerlich auch intelligent. Hingegen  muss nicht jede Intelligenzbestie über ausreichende emotionale und soziale Kompetenzen verfügen. So hat jeder Mensch seine Stärken, aber ebenso Defizite. Ein wertschätzendes Miteinander tut Körper, Geist und Seele gut. Auch wenn der Kopf weiter oben sitzt als die Hand, sollte man Kopfarbeit nie höher bewerten, als Handarbeit. Es ist ein Zwillingspaar und wir brauchen es immer im Doppelpack.

Entscheidungen

Neben Verständnis, Mitgefühl und Takt sollte aber auch bei Bedarf die nötige Durchsetzungskraft aufzubringen sein, um Entscheidungen zu treffen, diese durchzuziehen und dazu zu stehen.

Bauchgefühl

Optimistischer Pessimismus setzt auch Intelligenz und Bauchgefühl voraus. Das bedeutet, an positive und auch negative  Konsequenzen einer Handlung zu denken, bevor ich zur Tat schreite. Passiert dann plötzlich etwas Unerwartetes, bin ich vorbereitet und kann dann auf mein Bauchgefühl vertrauen.

Humor

Ärgern Sie sich über Dummheit, Besserwisserei oder sonstige Verhaltensweisen Ihrer Mitmenschen, greifen Sie auf Ihren Humor zurück. Betrachten Sie die Situation als Komödie – Sie sind mitwirkende Person auf der Bühne, aber ebenso Zuschauer. Lachen Sie auch über sich selbst! Das tut gut und wirkt erlösend.

Kopfmenschen

WennSie sich immer alles lange durch den Kopf gehen  lassen müssen, sollten Sie öfter einen Kaffeeplausch mit ihrem Bauchgefühl abhalten. Bauchmenschen sollten mit ihrem Verstand hin und wieder ernste Konversation pflegen. Weigern sich die jeweiligen unterdrückten Teile das zu tun, so gibt es sicher Mitmenschen, die als Ersatz einspringen können. Solche
Zusammenkünfte fördern auch das Wohlbefinden der Gesprächspartner.

Freiheit

Gleichgültig, ob Sie nun Querdenker, Kopfmenschen, Bauchgefühlfans, Rationalisten, Genies, Hochbegabte, Teilleistungsgestörte oder Traumtänzer sind, wichtig ist, Sie sind Sie selbst und lassen diese Freiheit auch Ihren Mitmenschen.

Warum Begabung gefördert werden muss

In erster Linie gehe es darum, den IQ bestmöglich zu fördern – und zwar durch Lernen. Lernen macht intelligent ist der Titel des Buches, das Aljoscha Neubauer und Elsbeth Stern geschrieben haben. „Begabung ist wichtig, aber ein Weniger an Begabung kann durch ein Mehr an Lernen kompensiert werden.“ Ein förderliches Elternhaus und eine gute Schule sind von großer Bedeutung. „Dauer und Qualität der Schule hängen eindeutig mit Intelligenzzusammen“, sagt Professor Neubauer. Studien haben ergeben,
dass allein jedes Schuljahr etwa fünf IQ-Punkte mehr bringt. Wer länger in die Schule geht, ist intelligenter. Auch die Schulqualität sei für die  Intelligenzentwicklung eines Landes sehr wichtig. „Und es gibt sehr wohl Zusammenhänge zwischen PISA-Test- und Intelligenztest-Ergebnissen. Das darf man nicht negieren. Die dringend notwendige Reform unseres Schulsystems jetzt nicht in Angriff zu nehmen, schädigt letztlich die Intelligenzentwicklung unserer Kinder.“ Es gehe nicht nur um Schulleistung, sondern auch um Österreichs Zukunftschancen im internationalen Vergleich.

Neubauer: „Vergleichsstudien zeigen, dass Länder mit höheren  Intelligenztestwerten wirtschaftlich erfolgreicher sind.“

Erschienen im Kurier am 13. Februar 2011