Der Sperr-Sepp

Fotos: Ernst Kainerstorfer

Aus „Die ganze Woche“, Ausgabe 18. April 1985

Der 63-jährige Josef Sperr ist eines der letzten österreichischen Originale. Seit 40 Jahren lebt er nach seiner eigenen Fasson – mit 300 Schilling im Monat. Was andere über ihn denken, ist ihm Wurscht.

Eine neu entstandene Siedlung im steirischen St. Sebastian nächst Mariazell. An den kreuz und quer hingewürfelten Häusern vorbei, reißt abrupt die frisch asphaltierte Straße ab. Weiter geht’s auf einem holprigen Waldweg.

Der führt direkt ins Märchenland. Ins kleine Land des Josef Sperr. Bloß ohne Schloss. Stattdessen schmiegt sich dort ein halbverfallenes Anwesen in die Talmulde. Ums desolate Haus ist unzähliges Material gestapelt: vom Autoreifen über einen Küchenherd bis zu Ziegeln und Fensterrahmen.

„Das brauch‘ ich alles für das neue Haus. Das muss ich mir jetzt zizerlweis‘ aufbauen. Ist schon höchste Zeit. Die Gemeinde hat meine Hube für abbruchreif erklärt“, sagt der 63-jährige Josef Sperr. An der Schmalseite seiner Keusche hat er einen verrosteten Caravan eingeparkt: „Der ist für den Notfall bereits als Schlafstatt hergerichtet, falls das Dach ganz einstürzt.“

Rundum Wald und Wiesen, Schafe, Ziegen und Kitze auf der Weide. Eine pechschwarze Promenadenmischung als Hofwache, Schweinegrunzen tönt aus dem Stall.

Das ist die Welt eines Aussteigers, der längst einer war, bevor es dieses Modewort gab.

„Ich lebe hier ganz allein und mache mir alles selbst. Ich ernähre mich vom eigenen Gemüse und von Milchspeisen. Die Ziegenmilch ist auch herrlich gegen den Durst. Wird ein Schwein oder Schaf geschlachtet, verkaufe ich die Hälfte. Den zweiten Teil behalte ich für mich“, erzählt der Waldgeist.

Auf seinem Anwesen gibt es weder elektrischen Strom noch eine Wasserleitung. „Am Abend zünde ich die Petroleumlampe oder eine Kerze an. Tagsüber bin ich immer im Freien“, schildert der pumperlgesunde Einsiedler.

Direkt vorm Haus sprudelt ein Bergquell. Der sichert die Wasserversorgung für Mensch und Tier. Im Winter, wenn das Bächlein zugefroren ist, holt der Sperr-Sepp vom einen Kilometer entfernten Nachbarn das Wasser.

Für seine Viecher sammelt er Essensabfälle bei den Mariazeller Wirten ein. Im Winter legt er die vier Kilometer in die Stadt auf Skiern zurück. Im Sommer fährt er mit dem Rad: „Die Kübel kann ich bequem auf die Lenkstange hängen.“

Doch nicht allein zum Einsammeln verlässt der Lebenskünstler seine Einsiedelei. Der Sperr-Sepp ist sehr gläubig und besucht regelmäßig die Mariazeller Basilika. „Meine Mutter wollte, dass ich Priester werde, weil ich so gut gelernt habe. Es ist dann doch nichts draus geworden.

Manchmal liefert er auch den Wirten ein wenig Gemüse. „hin und wieder kaufe ich etwa Kaffee, Mehl oder Reis ein. Ich brauch‘ aber nicht viel. Monatlich komme ich mit 300 Schilling aus. Da ist sogar ab und zu ein Achtel Wein oder ein Bier drin“, verblüfft der Bescheidene. Sein Achterl trinkt er meist im Hotel „Schwarzer Adler“, wo samstags der Schuldirektor vom Nachbarort Mitterbach, Peter Wenzel, auf der elektronischen Orgel musiziert. „Ich liebe die Musik“, schwärmt Junggeselle Sperr. Und wenn’s grad passt, stellt er sich in die Mitte des Lokals und singt, begleitet vom Schuldirektor, sein Lieblingslied von den „Capri-Fischern“. Was Touristen meist in Verzückung versetzt. Wer will, kann mit ihm diskutieren. Aber Vorsicht. Der Sperr-Sepp kennt sich überall aus. Speziell was die Physik anlangt.

Und ganz besonders bei der Atomenergie. Er ist glühender Zwentendorf-Gegner. Und als die ÖVP kürzlich wieder „Jein“ zu Zwentendorf sagte, riss ihm die Geduld. Er scheute die Telefonkosten nicht, um in der ÖVP-Zentrale in Wien anzurufen und „denen einmal ordentlich dazwischenzufunken und ihnen die Meinung zu sagen“. Als er erzählt, funkeln seine Augen, und der Naturbursch spricht nach der Schrift. Jetzt kommt der Rebell zum Vorschein: „Vier Jahre meines Lebens musste ich ein Ja-Sager sein – das ist genug. Das war während des Zweiten Weltkrieges, als ich bei den Gebirgsjägern diente. Danach bin ich nur noch meinen eigenen Weg gegangen. Ich hab‘ mir nichts dreinreden lassen. Dadurch ist mir die Obrigkeit natürlich immer aufgesessen.“

Das hat ihn misstrauisch werden lassen. Der sonst glückliche Mann hat eine große Sorge: Dass er durch irgendeinen Fehler einen Wald verlieren könnte. Denn er lebt arm, ist aber nicht arm dran. Immerhin besitzt Herr Sperr 21 Hektar Wald und neun Hektar Weideland. Und darauf ist er happig. „immer wieder wollen mich Leute zum Verkauf überreden. Da sag‘ ich dann, dass nicht alles um Geld zu haben ist. Und schon gar nicht mein Wald.“

Das steirische Unikum schlägert maximal zwanzig Festmeter pro Jahr. Der Erlös bringt gerade so viel, dass er Grundsteuer und Sozialversicherung zahlen kann. Als ihm der Bürgermeister von St. Sebastian, Hans Brandl, Hilfe beim Aufbau seiner neuen Bleibe anbot, lehnte Herr Sperr ab. Er fürchtet, dass er durch einen raschen Bau in finanzielle Not gerät und etwas von seinem Land abgeben muss. „Er will einfach nicht“, seufzt Brandl, „wir lassen ihn wirtschaften wie er will.“

Und das tut der Sperr-Sepp ohnehin. Er will mit 63 Jahren sein Häusl allein hinstellen. Das nimmt er nicht tragisch. Zur Not hat er ja den Caravan. Außerdem ist nach wie vor keine Bäuerin in Sicht, und daher keine Eile geboten.

Im Leben des Sperr-Sepp gab es zwei Frauen. Die erste, Justi, hat drei Jahre mit ihm gelebt. Dann ging sie wieder weg. Die zweite hieß Mizzi. Mit ihr war Herr Sperr verlobt. Mizzis Vater war gegen die Beziehung. Sie ist dann mit einem anderen abgepascht. „Da habe ich mich schon gekränkt, kommt ein bisschen Wehmut bei ihm auf.

Ein paar Sekunden später: „Doch das liegt fünfzehn Jahre zurück. Ich bin auch so ein zufriedener Mensch.“

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