Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Mai 2016
Fotos: Harald Eisenberger
Musik liegt in der Luft, wenn man Hans und Elisabeth Martschin im steirischen Dörfchen Greith besucht. In ihrem Refugium fühlen sich heute selbst Philharmoniker wohl – früher hat man den Hausherrn noch für verrückt erklärt.
Bevor man das Anwesen der Martschins erreicht, muss man erst einmal über eine kleine Brücke durch das verträumte, im steirischen Salzatal bei Gußwerk gelegene Dörfchen Greith. Doch auch dann ist das Refugium der Familie nicht leicht zu entdecken – es liegt ziemlich versteckt. Gut sehen kann man es eigentlich nur vom kleinen Kirchlein aus am gegenüberliegenden Hügel.
Wer Glück hat, kann aber hören, wo sich das Haus befindet. Manchmal schweben liebliche Geigentöne in der Luft, dann wieder tanzen flotte Walzerklänge durch die Bäume oder pulsiert Marschmusik über die Wiese. Das hängt nur davon ab, welches Instrument der Hausherr gerade spielt – Geige, Hackbrett, Posaune – und wer bei ihm zu Besuch ist. Schließlich finden sich bei den Martschins Liedermacher ebenso ein wie Philharmoniker. Sie wohnen sogar zeitweise da.
„Früher war hier nichts als eine feuchte Gstätten, und als ich den Grund in den 1970er-Jahren gekauft habe, haben mich viele für verrückt erklärt“, sagt Hans Martschin und lacht. Ihm aber gefiel die Wildnis, von der es zehn Kilometer bis zum nächsten Geschäft sind. „Ich war überzeugt, dass die riesige Feuchtwiese mit dem dazugehörigen Bach genau das Richtige für uns ist.“
Ein Häuschen hatte er übrigens auch schon dafür, genauer gesagt eine mehr als 200 Jahre alte Holzhütte aus der Gegend. Hans kaufte sie um nicht einmal 100 Euro, ließ sie fachgerecht abbauen und auf seinem Grundstück originalgetreu aufstellen.
PARADIES FÜR MUSIKER UND FORELLEN
Dem ersten Gebäude sollten bald zwei weitere, andernorts abgetragene Hütten folgen. Die eine dient Hans Martschins Frau Elisabeth, einer Keramikkünstlerin, als Werkstatt. Die andere wird unten als Sauna und oben als Komponistenwohnung genutzt. Auch einen Schwimm- und Fischteich haben die Martschins angelegt. Am Grundstück plätschert ja das Bacherl, das nun die Forellen mit frischem Wasser versorgt.
Kurz und gut: Das Ehepaar hat aus der Gstätten ein Paradies gemacht, wie geschaffen auch für seine Freunde, hauptsächlich Musiker und Künstler. Die fühlten sich hier sofort wie zu Hause und kamen und kommen hierher, um zu proben, zu komponieren oder nachzudenken.
DIE ALTE HÜTTE ERLAUBTE DEN ZUBAU
Die große Anziehungskraft des Treffpunkts hatte nur einen einzigen Haken – Platzmangel. Also machte man sich abermals an die Arbeit und baute die zuerst erworbene Hütte aus. „Vorher haben wir sie allerdings gefragt, ob wir erweitern und fix hier einziehen dürfen“, sagt der mittlerweile pensionierte Sparkassendirektor und schmunzelt. Der Wind habe durch das alte Holz gepfiffen, der Regen auf das Dach gepocht – „das war Musik in meinen Ohren und das habe ich als Zustimmung interpretiert“.
So wurde aus der bescheidenen Hütte schließlich ein mächtiges Refugium, das aussieht, als existierte es immer schon in dieser Form. Was auch daran liegt, dass man nur altes Material verwendete. Tatsächlich stammen die Ziegel und Holztrame von Abbruchhäusern, die Säulen im Gang sind aus einem Pferdestall, und die Fußbodenbretter kommen aus einem Kloster. „Wir haben uns praktisch ein altes Haus neu gebaut – oder umgekehrt“, sagt Elisabeth.
DAS GEHEIMNIS DER SCHIEFEN UHR
Auch die Einrichtung – viele Räume sind vertäfelt – ist alt: In der Küche sticht ein blau gekachelter Ofen hervor, Prunkstücke sind unter anderem der Hochzeitsschrank und die Truhe von Hans’ Urgroßmutter aus dem Jahre 1846, weiters eine 250 Jahre alte, in Gußwerk geschmiedete Eisentür sowie ein Kitzbüheler Jogltisch, der um 1850 getischlert wurde. Das einzigartige Bett der Hausfrau stammt aus dem Jahr 1794. „Ich schlafe herrlich darin“, sagt sie.
Wohin man schaut, überall im Haus finden sich Bilder und Uhren, Erb- und Erinnerungsstücke, Instrumente und Kleinode. Es gibt keine Ecke, die nicht liebevoll gestaltet ist.
„Dahoam muaß ma’s schen habn und net wo aunders“, zitiert der 75-jährige Hans ein altes Sprichwort und zeigt auf eine Pendeluhr, die ziemlich schief an der Wand im Wohnzimmer hängt. „Viele, die zum ersten Mal bei uns sind, gehen hin und richten sie gerade, aber dann bleibt sie stehen.“ Das Pendel schlägt nur in Schieflage. Alte Uhren haben eben ihre Eigenheiten.
Eines der Lieblingsstücke von Elisabeth und Hans hat draußen seinen Platz gefunden. Es ist die eiserne Jungfrau am Ufer des Fischteiches. Die Skulptur wurde 1862 bei der Londoner Weltausstellung präsentiert und später den Eltern von Hans zur Hochzeit geschenkt. Sie stand dann in deren Garten in Wels. Nachdem dort dreimal versucht wurde, sie zu entwenden, holte Hans die 600 Kilogramm schwere Frauenfigur schließlich zu sich nach Greith.
WO DIE HERZEN AUFGEHEN
Aber zurück zur Musik, die dem Ehepaar so viel bedeutet. Ihrer Leidenschaft wurde beim Zubau natürlich Rechnung getragen und daher „mehrere Gewölbe errichtet, die einen ganz eigenen Klang ermöglichen“, sagt der Hausherr. „Schließlich sollten hier viele Plätze entstehen, an denen die Musik gut klingt und die Herzen aufgehen.“
Eine Welt ohne Musik ist für Hans nicht denkbar. Es gibt kaum ein Lied, das er nicht kennt, kaum eine Weise, die er nicht spielen kann. Als Kind gehörte er den St. Florianer Sängerknaben an, später war er viele Jahre Vorsitzender des Steirischen Volksliedwerks und Universitätsrat der Musik-Uni in Graz sowie Chorleiter des Mariazeller Madrigalchors und Initiator der Musikantenwallfahrt. Er brachte außerdem die erste Jodler-Lern-CD auf den Markt. Und sollten es die Stimmbänder zulassen, kann man es mit ihr gar bis zum Erzherzog-Johann-Jodler in der Originalfassung bringen.
Etwas mehr als ein Jahr dauerte es jedenfalls, bis der Bau rund um die alte Hütte fertig war. „Und wir auch“, sagt Elisabeth und lacht. „Zum Glück hatten wir einen Architekten, der auch als Mediator fungierte, wenn wir uns nicht einig waren.“
Doch diese harten Zeiten sind längst vorüber. An allen möglichen Plätzen in Haus und Hof wird nun musiziert. Auch Elisabeth setzt sich immer wieder gern ans Klavier.
PLATZ FÜR DIE GANZE FAMILIE
Neben dem Komponistenhäuschen und einer Studentenwohnung bietet das Anwesen alles in allem 500 Quadratmeter Wohnfläche für drei Familien. Weil auch Sohn und Tochter sowie ihre Lieben und die sechs Enkelkinder hier eine Rückzugsmöglichkeit in ihrer Freizeit haben sollten.
Außerdem werden sie für die Hausmusik gebraucht. Dass die Nachkommenschaft von Hans und Elisabeth ebenfalls musikalisch und künstlerisch begabt ist, versteht sich ja von selbst.
VON ALMHÜTTEN ABGESCHAUT
Für Balkone, Außenbalken und Schindelwände wurde neues, dafür geeignetes Holz (z. B. Lärche) verwendet, das aber unbehandelt blieb und sägerau verarbeitet wurde. Hausherr Hans Martschin hat sich das von alten Almhütten abgeschaut, die stets mit naturbelassenem Material gebaut wurden. Eine Imprägnierung ist nicht notwendig, weil das Holz von der Sonne den erforderlichen Schutz erhält. Je nach Sonneneinstrahlung wird es an bestimmten Stellen heller oder dunkler. Dadurch wird es haltbar und ist für jede Witterung gerüstet.
Allerdings ist es wichtig, bei solcherart verwendeten Brettern auf die Schlägerung nach den Mondphasen zu achten. Nach alten Erfahrungen wird das Holz bei abnehmendem Mond im Jänner geschlagen. Dann hält es ewig.