Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Jänner 2016
Fotos: Peter Rigaud
Zwei Geigenmacherinnen haben sich in Wien eine Werkstätte eingerichtet, in der sie ihre Saiten aufziehen. Auf neue Instrumente, die nach den Vorbildern alter Meister gebaut werden.
Es ist, als hielte ich ein Lebewesen, das auf alles reagiert – auf mich, meine Hände, meine Stimmung, darauf, ob ich drinnen oder draußen spiele“, sagt Violinistin Liselotte Murawatz. Sie hebt ihren Schatz aus dem gepolsterten Geigenkasten, streichelt liebevoll darüber und reicht ihn dann seiner Schöpferin. Die Geigenmacherin inspiziert Hals, Schnecke und Griffbrett, entfernt winzige Unreinheiten und bringt das Instrument solcherart wieder auf Hochglanz – oder besser gesagt: Hochklang.
HANDWERK MIT GOLDENEM BODEN
In der Werkstatt der Geigenbaumeisterinnen Kerstin Hoffmann, 49, und Claudia Rook, 43, in Wien-Wieden entstehen Instrumente, von denen Musiker träumen. Zur Arbeit der beiden zählen aber nicht nur Bau, Verkauf und Vermietung neuer Geigen, sondern eben auch Wartung und Restaurierung der Instrumente. Dafür liegt im zweiten Stock des Eckhauses alles griffbereit an seinem Platz: Feilen, Raspeln, Hohleisen, Hobel, Zangen, Winkelmesser, Lacke, Pinsel und sogar Skalpelle. An den Wänden hängen Instrumentenformen, Sägen, Schnittzeichnungen und Streichbögen, in den Regalen warten unterschiedliche Hölzer auf ihre Verwendung.
Dass aus so einem Klotz eine wohlklingende Violine entsteht, kann sich der Laie kaum vorstellen. Es dauert auch. An die 150 Arbeitsschritte und 200 Stunden braucht es mindestens, ehe die Saiten aufgezogen werden. Und meist wartet längst schon ein Kunde, der darauf spielen möchte.
Denn die Nachfrage nach neuen Violinen hoher Qualität ist groß. „Seit 15 Jahren gibt es einen richtigen Ansturm“, erzählt Claudia Rook. Der Grund: „Die Instrumente alter Meister sind so teuer geworden, dass sie sich nur noch Betuchte und Institutionen leisten können, die die um Millionen erworbenen Stradivaris, Amatis oder Guarneris dann gut versichert an Stargeiger verleihen.“
Ein gute Alternative ist ein Nachbau der genau vermessenen und in der Fachliteratur bestens beschriebenen Meisterviolinen. Und genau darauf haben sich die Geigenmacherinnen spezialisiert. „Bei unseren Nachbauten handelt sich nicht um idente Kopien. Es geht vielmehr darum, das Konzept zu durchschauen“, erklärt Kerstin Hoffmann.
WIE VOR 300 JAHREN
Im Prinzip aber ist der Geigenbau – eine Mischung aus Kunst und Handwerk – seit 300 Jahren gleich geblieben. „Natürlich haben wir heute besseres Werkzeug und elektrischen Strom, aber die Arbeit ist wie damals. Nur ein paar bauliche Veränderungen waren nötig, weil heute in größeren Sälen gespielt wird und mehr Volumen erforderlich ist“, erklärt Claudia Rook. In ihrer Grundkonstruktion ist die Geige unverändert. Ein Erfolgsmodell, das über Generationen bis zur Perfektion entwickelt wurde.
Guarneri und Stradivari haben es den beiden besonders angetan. So wurde etwa auch die Geige von Liselotte Murawatz im Jahr 2013 nach dem Vorbild von Guarneri del Gesùs „Plowden 1735“ gebaut.
Aufgewachsen sind Kerstin Hoffmann und Claudia Rook in der damaligen DDR. In Markneukirchen, einem Instrumentenbau-Städtchen, haben sie das Geigenmachen gelernt. Kerstin erzählt, dass ihr Werdegang eigentlich ihrem Gitarrenlehrer zu verdanken ist: „Er hat mir gezeigt, wie Instrumente repariert werden. Einfach faszinierend.“ Und Claudia erlernte das Handwerk als Überbrückung, weil sie für das Musikstudium damals noch zu jung war. „Das habe ich zwar auch noch absolviert, aber der Geigenbau ist meine Passion geworden.“
ZWEI FRAUEN AUF WANDERSCHAFT
Nach der Ausbildung gingen sie auf Wanderschaft. Auf ihrer Walz studierten und arbeiteten sie unabhängig voneinander in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und den USA, blieben dabei aber stets verbunden. Nachdem sie ihr Handwerk perfektioniert hatten und jede einen internationalen Preis eingeheimst und die Meisterprüfung abgelegt hatte, eröffneten sie 1999 eine gemeinsame Werkstatt in Magdeburg, in der sie sieben Jahre Geigen bauten und reparierten.
„Mit der Zeit griff es sich dort aber ab. Wir suchten neue Anreize“, erzählt Claudia Rook. Und Kerstin ergänzt: „Wien, die Stadt der Musik, war genau das Richtige für uns. Am 1. November 2006 haben wir uns hier selbständig gemacht.“
WIE HOLZSTÜCKE ZU GEIGEN WERDEN
Für den Geigenbau verwenden die beiden Fichte, Ahorn, Ebenholz und auch Weide. Der Boden der Geige wird aus einem Ahornbrett geschnitten, die Decke aus Fichte. Dann fallen gehörig Späne, wenn mit Stemmeisen und Hobel die Wölbung „gestochen“ wird. Die gewünschten Rundungen des Zargenkranzes (Rahmen) entstehen mit Hilfe von Biegeeisen und Feuchtigkeit. Das Skalpell wiederum kommt beim Schneiden der Nut am Rand des Korpus zum Einsatz.
Sind die Hauptteile verleimt, muss das Rohinstrument ruhen, damit sich alles
verbindet. In dieser Zeit wird der Hals des Instruments aus einem Holzstück herausgearbeitet und die Schneckenwindung geschnitzt. Dann geht’s ans Lackieren.
Der Lack wird nach alter Rezeptur aus dem 17. Jahrhundert angerührt, die Pinselstriche verleihen der Geige den typischen bernsteinfarbenen Glanz. Er dient aber nicht nur Optik und Schutz, er sorgt auch für guten Klang. Schließlich werden die Wirbel eingesetzt, der Stimmstock, die Seele des Instruments, eingepasst, das Griffbrett angebracht, die Saiten aufgezogen. Dann endlich kann die Violine gestimmt werden.
DIE SPRACHE DER MUSIK VERSTEHEN
Die größte Herausforderung bei all dem sei aber die Zusammenarbeit mit den Musikern, so die beiden Geigenbauerinnen. „Gibt man nämlich zwei Musikern dasselbe Instrument in die Hand, klingt es bei jedem anders. Eine Geige ist dann richtig für ihren Besitzer, wenn er mit ihr ausdrücken kann, was er ausdrücken möchte.“ Das herauszufinden ist nicht immer einfach. Aber hier kommt Claudia das Cellostudium zugute: „Es erleichtert meine Arbeit, weil ich die Musikersprache verstehe und weiß, was unsere Kunden meinen, auch wenn sie es oft mit Worten nicht wiedergeben können.“
Pro Jahr entstehen fünf bis sieben neue Instrumente, die Wartezeit beträgt mehrere Monate. Eine Geige kostet 14.400, eine Bratsche 15.600, ein Cello 26.400 Euro. Für Anfänger gibt es auch günstigere Instrumente aus Serienfertigung ab 800 Euro pro Geige.
Kerstin macht übrigens auch Bögen. „Dafür habe ich eine Extraausbildung absolviert“, sagt sie. Erst der perfekte Bogen macht die Musik, denn bei der hohen Kunst spielen zu je einem Drittel die Geige, der Bogen und der Spieler die Hauptrollen.
Geigerin Liselotte Murawatz führt vor, was damit gemeint ist. Sie schiebt ihr frisch poliertes „Lebewesen“ unters Kinn, nimmt den Bogen und lässt „Liebesleid“ von Fritz Kreisler erklingen. Dann entschwindet sie zur Probe des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich, dem sie angehört.
NEUES PROJEKT, NEUE GEIGE
Es herrscht wieder Ruhe in der Werkstatt. Die Meisterinnen können sich ihrem neuen Projekt widmen. Es soll eine Guarneri-Geige nachgebaut werden, die sie kürzlich gehört haben. Es wird ein langwieriges Prozedere, das all ihre Energie und Erfahrung, ihr Können und Feingefühl erfordert. Das jedoch am Ende die Meisterinnen zufrieden und einen Geiger glücklich machen wird.
GEIGENBAU EINST UND JETZT
Der Geigenbau entwickelte sich im 16. Jh. in Norditalien, wo er von Familien betrieben wurde. Zu den ersten berühmten Geigenbauern zählten Andrea Amati (etwa 1505 bis 1577) aus Cremona und Gasparo da Salò (1542 bis 1609) aus Brescia. Amati baute für den französischen König vor allem Violinen. Da Salò stellte Violinen, Bratschen und Kontrabässe her. Besonders begehrt sind heute seine Bratschen als Soloinstrumente. Diesen Pionieren folgten Maggini, Rogeri, Goffriller und Guarneri, um nur einige zu nennen.
Als König der Geigenbauer gilt Antonio Stradivari (1648 bis 1737). Er war aber auch ein guter Geschäftsmann und beschäftigte an die zehn Mitarbeiter, die erstklassige Instrumente bauten.
In Österreich wird Jakob Stainer (1618 bis 1683) aus Absam als großer Meister verehrt. In Wien wirkten Johann Georg Thir (1710 bis 1781), Franz Geissenhof (1753 bis 1821) und Martin Stoss (1778 bis 1838).
Originalgeigen werden von ihren Besitzern an Weltstars verliehen. Der österreichische Stargeiger Julian Rachlin etwa spielt derzeit auf der Originalgeige „ex Liebig“ von Stradivari. Eine der bestes Geigerinnen der Welt, die Deutsche Anne-Sophie Mutter, besitzt selbst zwei Stradivaris – die „Emiliani 1703“ und die „Lord Dunn-Raven“.
Derzeit herrscht eine neue Blütezeit im Geigenbau. In Österreich gibt es laut Wirtschaftskammer mehr als 100 Meisterbetriebe, davon 51 Geigenbauer allein in Wien, wobei sich die Mitgliedsbetriebe seit 2005 mehr als verdoppelt haben. Das Handwerk kann bei einem Meister oder an einer Schule erlernt werden. In Hallstatt gibt es eine HTL für Instrumentenbau.
Namhafte Meisterinnen und Meister gehören dem seit 1910 bestehenden Verband österreichischer Geigenbauer an, der derzeit 29 Mitglieder zählt. Hier wird nur aufgenommen, wer viel Erfahrung hat und neben der Meisterprüfung perfekt gebaute Instrumente und zwei Bürgen vorweisen kann. „Unser Ziel ist der Austausch untereinander und auch international sowie Fortbildung und Schulung, damit wir immer auf dem neuesten Stand sind“, sagt Präsident Peter Tunkowitsch. Er hat in der Wiener Innenstadt seine Werkstatt, ist auf Geigen nach Geissenhof und Stoss spezialisiert und spielt bei den Wiener Salonschrammeln die Kontragitarre.
WIE ES DER GEIGE AM BESTEN GEHT
Eine Geige will gepflegt sein. Sie reagiert auf das unterschiedliche Klima, das im Konzertsaal oder im Proberaum, in der Kirche oder im Freien herrscht, auf Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen. Speziell Trockenheit und Hitze setzen den Instrumenten zu. Das Holz beginnt zu arbeiten, wodurch sich Leimverbindungen lösen und Risse entstehen können. Der Lack kann bei hohen Temperaturen (etwa im Auto) erweichen und das Instrument ruinieren. Gutes Raumklima ist also erforderlich. Am besten geht es der Geige bei einer Luftfeuchtigkeit zwischen 50 und 70 Prozent. Deshalb sind moderne Geigenkästen mit einem Hygrometer als Kontrollsystem ausgestattet. Bei Trockenheitsalarm wird der ebenfalls im Kasten angebrachte Befeuchter mit Wasser gefüllt, damit das Instrument bei richtiger Luftfeuchtigkeit wieder atmen kann.
Übrigens: Die Geige heißt auf Italienisch Violine, das Cello Violoncello. Die Bratsche, die große Schwester der Geige, ist die Viola.
Kerstin Hoffmann, Claudia Rook
1040 Wien, Ziegelofengasse 6,
Tel.: +43/1/966 17 56, www.geigenmacher.at