Mit einem goldenen Händchen

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Februar 2017
Fotos: Petra Kamenar

Die Augen des Mädchens sind bei jedem Kirchenbesuch auf die Kanzel gerichtet. Ihr Interesse gilt aber nicht etwa der Predigt, sondern den Engeln da oben. Die schauen so traurig und armselig drein, dass dem Mädchen das Herz blutet.

Ausgebleicht, abgebröckelt und schwarz sind sie – und einem fehlt sogar ein Zeh. „Warum macht das keiner wieder gut?“, fragt sich die Kleine Sonntag für Sonntag.

Heute ist das Mädchen erwachsen und kann solche Wunden wieder heilen. „Die desolaten Engel taten mir so leid, dass sie offenbar den Berufswunsch in mir geweckt haben“, erzählt Waltraud Luegger. Sie wollte Engeln und anderen Figuren zu ihrem früheren Glanz verhelfen. In kräftigen Farben sollten sie erstrahlen und in Gold schimmern. Als sie im richtigen Alter war, suchte sie sich eine Lehrstelle und erlernte das Handwerk. Goldrichtig für sie. Heute ist Waltraud Luegger aus Wien eine gefragte Vergolderin und Staffierermeisterin. „Ein schöner Beruf. Ich kann Neues schaffen und Altes bewahren.“

Sie vergoldet nicht nur Sakrales, sondern auch weltliche Dinge: Uhren etwa oder Kerzenständer aus allen Epochen, Schuhe, Sessel, Tische, Kugeln, Vasen, Schalen, Jagdtrophäen oder Buchseiten. Alles, was ihre Kundschaft wünscht. „Es gibt kaum etwas, was man nicht veredeln kann“, sagt die Vergolderin, die sich auch mit Silber, Kupfer, Bronze und anderen Metallen auskennt. Aber: „Nur Gold bleibt Gold. Es ist ein Edelmetall und verändert sich nicht.“

Zuletzt hat die Meisterin Deckenornamente und Foyers in Wiener Hotels vergoldet. Freilich nicht immer mit echtem Gold. „Für größere Flächen verwende ich Blattmessing – das kommt nicht so teuer.“

Waltraud Lueggers Fähigkeiten sind auch bei Künstlern gefragt. Sie lassen sich beraten oder Arbeiten von ihr machen. „Wer einmal Gold geleckt hat, kommt nicht mehr davon los“, meint sie. „Es ist faszinierend, auch Gustav Klimt hat das gewusst.“

WAHRLICH KEINE GOLDGRUBE

Handwerk, so sagt man, hat goldenen Boden. Bei Waltraud Luegger stimmt das sichtlich. Goldgrube ist es dennoch keine. Es stecken viel Zeit und Energie hinter dem Glanz. Im Prinzip arbeitet sie nach historischem Vorbild und mit natürlichen Materialien in einer Technik aus dem Mittelalter.

Das Vergolden ist nach wie vor geheimnisumwittert. Ein bisschen Alchemie ist schon dabei, wenn es köchelt und dampft in ihrer Werkstatt. Da wird  Hasenhautleim mit Wasser erhitzt. Da wird Poliment (aus Eiweiß und Tonerde) aufwendig angerührt – als Untergrund für das Gold, das sonst nicht haften würde. Da werden Kreide und Leim gekocht, um später auf Holz, Stuck oder Metall aufgetragen zu werden. „Alles, was ich hier verwende, könnte man auch essen, es ist nicht giftig“, erklärt die 40-Jährige. Verkosten möchte es trotzdem niemand.

Das Gekochte nun fachgerecht auf den von ihr rekonstruierten Bilderrahmen aufzutragen „ist die Hauptarbeit und eines der Geheimnisse des Vergoldens“.  Sage und schreibe 14 Schichten Grundierung legte Waltraud Luegger hier an – erst mit größerem Anteil an Hasenhautleim, danach mit abnehmendem Leimanteil Schicht für Schicht Kreidegrund. Nach langem Feinschleifen pinselte sie schließlich gelbes und rotes Poliment auf. Jetzt erst geht das Vergolden los.

Mit leuchtenden Augen löst Waltraud eines der hauchdünnen (acht Tausendstel Millimeter) Goldblättchen aus einem Heft und schneidet es in kleine Stücke. Dabei hält sie den Atem an, damit ja nichts wegfliegt. Sie nimmt mit dem leicht befetteten Anschießpinsel aus Eichkätzchenschweif ein Goldblättchen auf und „schießt es an“ auf eine mit Branntweingemisch („Netze“) befeuchtete Stelle. Vorsichtig und bedächtig bringt sie Blättchen für Blättchen auf den Rahmen. „Es ist heikel, jeder Fehler kostet Geld“, sagt die Meisterin, die ja buchstäblich alles auf die Goldwaage legen muss.

FIGUREN ZUM LEBEN ERWECKEN

Waltraud Luegger, die 13 Berufskollegen in Wien und 60 in ganz Österreich hat, versteht sich wie diese auch auf das Rekonstruieren. Wer dieses Handwerk beherrscht, der kann Holz so veredeln, dass es aussieht wie massives Gold – das macht gelernten Vergoldern nicht so schnell jemand nach.

Waltraud Luegger ist daneben noch Staffierermeisterin. Als solche hat sie nichts mit Ausstaffieren zu tun, sondern mit dem Bemalen von Skulpturen. „Der Staffierer hat einst die Holzfiguren der Bildhauer mit Farbe und Gold zum Leben erweckt.“

Dabei ist neben der Farbwahl die Pinselführung im Gesicht entscheidend. Besonders bei den Augen, deren Blick niemals starr wirken darf. Auch dafür braucht es ein goldenes Händchen und künstlerisches Können. Ebenso fürs Marmorieren. „Wenn sich ärmere Kirchen keine teuren Steine leisten können, kann ich Holz so bemalen, dass es wie Marmor ausschaut.“

VERGOLDERIN IN DER GOLDEGGASSE

Waltraud Luegger ist in Wartberg im steirischen Mürztal aufgewachsen und hat in Kindberg ihr Handwerk erlernt. Danach ging sie nach Wien und arbeitete acht Jahre lang bei einem Bauvergolder. Da hieß es alte Gegenstände in Kirchen, Palais oder im Konzerthaus zu vergolden. Das war oft strapaziös, erinnert sie sich. „Baustellenarbeit ist hart und sehr anstrengend, und es war oft bitterkalt in den Kirchen.“

Mit 28 Jahren machte sie sich selbständig. Ebenfalls ein Härtetraining. Der Anfang war nämlich gar nicht goldig – eigentlich wollte Waltraud nach einem Jahr wieder zusperren. „Es war sehr zäh. Jeden Monat Miete zahlen, sich selbst erhalten, um Aufträge rennen. Zum Glück hab ich durchgehalten und schließlich meine Lokalität gefunden“, sagt sie.

Die Adresse ihrer Werkstatt könnte passender nicht sein: Ihr Atelier befindet sich in der Goldeggasse im vierten Bezirk in Wien. „Reiner Zufall“, erzählt sie lachend, „ein Freund hat mir den Tipp gegeben.“

Privat passt auch alles. Waltraud ist seit sechs Jahren mit einem Glasermeister verheiratet, Sohn Leo ist drei Jahre alt. „Ich hab das Kinderkriegen immer hinausgezögert, weil das als Selbständige nicht so einfach ist“, sagt sie. So kam es dann auch. „Erst bin ich mit dem Computer im Wochenbett gelegen, und einen Monat später war ich wieder im Geschäft.“ Natürlich mit Baby Leo.

Im Atelier hat Leo eine Spielecke, falls Mama länger arbeiten muss. Heute nicht, heute kann sie ihn rechtzeitig aus dem Kindergarten holen. Bis dahin schießt sie weiterhin Blättchen für Blättchen an den barocken Bilderrahmen. Sobald er ganz mit Gold belegt ist, kommt das Glätten mit einem Achatstein. Poliert wird nur, was wirklich glänzen soll – so lassen sich elegante Glanz- und Matteffekte erzielen.

Wenn der Bilderrahmen einmal fertig ist, werden an die 25 Arbeitsstunden in ihm stecken. Und unzählige Goldblättchen. Er wird dann aussehen wie neu – so wie er vor 200 Jahren hergestellt wurde.

Für heute ist es genug. Waltraud legt den Pinsel aus der Hand, streift ihren weißen Arbeitsmantel ab und schüttelt ihr Haar, aus dem sich ein paar Goldflankerl lösen. Sie wirft noch einen schnellen Blick auf den Barockengel an der Wand. Er sieht ihr immer bei der Arbeit zu. Der Engel war in einem erbarmungswürdigen Zustand, als sie ihn auf einem Flohmarkt entdeckte. Aber sie hat alles wiedergutgemacht.

Goldene Techniken

Blattgold: Gold, das so lange gewalzt und geschlagen wird, bis es hauchdünn ist. Ein Stück hat etwa 8.000 Schläge hinter sich und ist acht bis zehn Tausendstel Millimeter dünn. Dabei ist auch die Arbeit kostbar, nicht nur das Material. Ein Paar vergoldete Babyschuhe kostet bei Waltraud Luegger etwa 90, eine Trophäe 300 und ein Bilderrahmen rund 1.000 Euro.

Blattmessing: Glänzt ähnlich wie Gold, ist aber nicht so teuer. Es wird für größere Flächen verwendet, ist ebenfalls in dünnen Blättern erhältlich und kann auf lackierte Flächen aufgetragen werden. Ein Quadratmeter kostet 120 Euro.

Ölvergoldertechnik: Für den Außenbereich. Kirchturmkreuze oder Uhrzeiger sind fast immer mit 23 bis 24 Karat echt vergoldet. Die Haltbarkeit beträgt bis zu 50 Jahre, wobei das Gold selbst nicht rosten kann, aber die Konstruktion aus Eisen, die sich darunter befindet. Bei dieser Technik kann nicht poliert werden, daher glänzen die Gegenstände weniger.

Wie das Gold dünn gemacht wird

Die Fertigung von Blattgold ist eine uralte Technik. Bereits seit der Antike wird diese Arbeit von Goldschlägern ausgeführt. Dabei wird das wertvolle Edelmetall so lange gewalzt und geschlagen, bis es dünner ist als die Wellenlänge des sichtbaren Lichts – acht Tausendstel Millimeter. Das ist so dünn, dass man Licht (und auch etwas die Grundierung) durchschimmern sieht. Ein Gramm Blattgold reicht für das Vergolden von etwa einem halben Quadratmeter.

Atelier GoldRichtig:

Waltraud Luegger
Goldeggasse 21, 1040 Wien
Tel.: +43/1/334 47 19
www.atelier-goldrichtig.at

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