Eine heimtückische Krankheit nahm Fabian das Leben. Der 16-Jährige hat seinen trauernden Eltern einen Auftrag hinterlassen – einen letzten Wunsch, den sie nun erfüllen wollen.
„Ich widme dieses Buch meiner Mutter und meinem Vater, die mir das Leben geschenkt haben, das ich trotz aller Anstrengungen und Strapazen so sehr liebe und schätze.“ Mit dieser Widmung beginnen die Aufzeichnungen des 16-jährigen Fabian Linzer. Er konnte sie nicht fortsetzen. Er ist tot. Fabian starb an Organversagen, ausgelöst durch eine seltene Erkrankung des Immunsystems. Den verzweifelten Eltern bleibt das Tagebuch ihres Sohnes, in dem er beschreibt, wie es sich anfühlt, chronisch krank zu sein, Schmerzen zu haben, geschwächt zu sein. Aber auch immer wieder, wie sehr er das Leben liebt. Fabian hat nie gejammert, ist nie verzweifelt, hat nie resigniert. Er gab die Hoffnung nie auf. Bis zuletzt nicht. Auch nicht drei Tage vor seinem Tod. Da bestellte er sich ein paar Schuhe übers Internet. „Schau, Mama, die da hab ich geordert“, deutete er vom Spitalsbett aus auf den Bildschirm, „die werden nächste Woche nach Hause geliefert“, lächelte er, notierte ein weiteres Passwort auf seiner Liste und zeigte sie der Mutter. „Hier stehen alle meine Codes, nur damit Du weißt…“
Fabians Krankheit heißt CVID (variables Immundefektsyndrom – Common Variable Immunodeficiency). Hinter diesen harmlosen Buchstaben verbirgt sich ein heimtückisches Leiden, das Infektionen im ganzen Körper verursacht und die inneren Organe schädigt. CVID beruht auf einer Fehlsteuerung des Abwehrsystems, das nicht ausreichend Antikörper gegen Infektionen bilden kann. CVID ist angeboren, kann ganz sanft oder sehr schwer verlaufen.
Die Erkrankung wird oft nicht erkannt, weil sie sich anfangs mit Erkältungen und verschiedenen Infektionen zeigt. Oder zusätzlich mit Blutarmut, wie bei Fabian. Weil die Krankheit selten, unberechenbar und wenig erforscht ist, bringt sie neben der Unsicherheit auch eine große Einsamkeit mit sich. Man kennt keine anderen Kranken und weiß nie, welches Leiden als nächstes kommt. „Krebs wäre mir lieber“, sagte Fabian, „denn da wüsste ich wenigstens, entweder hopp oder tropp. Aber damit…?“
„Die ständige Ungewissheit war ein großes Problem für Fabian“, sagt der Vater. Deshalb wollte sein Bub einen Verein gründen, um andere CVID-Kinder in Österreich zu finden und sich mit ihnen auszutauschen. Er kam nicht mehr dazu. Diesen Wunsch haben ihm seine Eltern, Daniela (46) und Kurt Linzer (49) jetzt posthum erfüllt. Im „Fabian Linzer – Unterstützungsverein für Kinder mit schweren Immundefekten“ (www.fabianlinzer.at) will das verwaiste Paar gemeinsam mit den Ärzten des St. Anna Kinderspitals anderen mit Rat und Tat zur Seite stehen (siehe Kasten). Im St. Anna wurde Fabian acht Jahre lang betreut, es war sein zweites Zuhause“, sagt die Mutter ganz leise.
Ab seinem 15. Lebensjahr nahm die Intensität der Erkrankung immer mehr zu. Fabian ging es schlecht, in die Schule konnte er nicht mehr gehen. Er hatte große Schmerzen und war sehr schwach. Während die Mutter, eine Beamtin, immer mehr spürte, dass die Zeit mit Fabian kostbar ist, weil sie begrenzt sein würde, dachte der Vater, Chefinspektor der Cold Case Abteilung, keine Sekunde daran, dass er den Sohn verlieren könnte. Schließlich hat man ihm gesagt, dass bei einem guten Verlauf die Lebenserwartung von CVID-Patienten durchaus 60 Jahre und mehr betragen könne. Daran hielt er fest. „Wenn unser Bub 60 wird, dann überlebt er uns. Es kann doch nicht sein, dass man als Vater sein Kind überlebt und ihm ins Grab nachschauen muss.“
Zwei Monate vor seinem 16. Geburtstag versagte Fabians Leber. Er wurde ins AKH transferiert, wo er am 23. August 2011 eine Spenderleber eingesetzt bekam. Doch die Leber funktionierte nicht. Am Tag vor Weihnachten musste Fabian wieder auf die Intensivstation im AKH, eine neuerliche Transplantation war geplant. Es kam zum völligen Leberversagen und Fabian musste sich der MARS Therapie unterziehen. Dabei wird mithilfe eines Spezialgeräts die Leber gereinigt, die Schadstoffe werden abgeleitet. Vergleichbar mit der Nieren-Dialyse.
Das Leberversagen verursacht unter anderem einen hohen Ammoniakspiegel im Blut, der schreckliche Halluzinationen auslösen kann. „In diesen furchtbaren Träumen sah er alles verzerrt und bedrohlich. Fabian hatte schreckliche Ängste“, schildert die Mutter. Er sagte ihr: „Ich will nicht sterben und nicht da nach oben, wo so viele sind, die gerne leben möchten.“ Das hat der Mutter fast das Herz zerrissen. Daniela Linzer wich nicht mehr von der Seite ihres Sohnes. Man stellte ihr in seinem Zimmer ein Bett auf. Sie lebten gemeinsam auf der Intensivstation. Ab dieser Zeit wurden die Eintragungen ins Tagebuch immer dichter, Fabian hielt alles fest.
Nach der lebensrettenden Therapie wurde wieder über die neuerliche Transplantation geredet. Eintrag vom 28.12.2011: „Ich bin einfach so happy und dankbar, eine weitere Chance auf ein Organ zu bekommen. Dieses werde ich Lieselotte taufen und sie bleibt dann auf ewig meine liebe Liesl-Leber!.“
29. 12. 1011: Der Tag war bis jetzt sehr schmerzvoll. Ich habe mich fast den halben Tag im Delirium aufgehalten, was ich normalerweise gar nicht schätze! Dennoch hat mich der Besuch von Clara und das Telefonat mit Moni ein bisschen aufgeheitert.
30. 12. 2011: …Haare schon gewaschen, Creme aufgetragen, Nägel und Fußnägel wurden heute schon geschnitten. Na, wenn das ja nicht mal produktiv war! Dennoch fühle ich mich heute wie frisches, trockenes Laub im Wind – vielleicht sollte ich mehr essen – vielleicht hören dann auch diese starken Träume auf, die mich sehr stark nerven und hinunterziehen. Mal sehen, wie der Spontanbesuch von Marco und Lisa wird.
31. 12. 2011: Leider sind meine Leukos heute bei 0,8; sonst fühle ich mich nämlich recht gut! Ich bin nur immerzu von meiner Müdigkeit überrascht. Langsam fängt das Silvester-Programm an. Mein Vorsatz fürs nächste Jahr: „Einfach so weitermachen!“ Vielleicht bestellen wir uns noch etwas zu essen, wahrscheinlich türkisch. Das Jahr 2011 war meiner Meinung nicht nur für mich, sondern auch für den Rest der Welt grausam. Sehr viel Gewalt, Unruhen, Tod und Krisen. Ich finde es traurig. Toi, toi, toi 2012. Bitte werde besser als dein Vorgänger. Türkisch war extrem lecker.
Ab morgen muss ich wieder vorausdenken. Wieder ein Jahr erwachsener sein, mehr aushalten als jeder andere. Ab morgen geht’s wieder bergauf, dafür sorg ich schon.
Fabians Zustand verschlechterte sich. So sehr, dass Lieselotte nicht wie geplant am 20. Jänner zum Einsatz kommen konnte. Fabian musste intubiert und unterstützend beatmet werden. Um zwei Uhr früh erlitt Fabian einen Herzstillstand. Er wurde reanimiert und fortan auf sehr hoher Stufe beatmet und in Tiefschlaf versetzt. Es gab keine Hoffnung mehr. Am Abend war es klar, Fabian würde in den nächsten Stunden gehen. Da lag er in seinem Intensivbett, hübscher denn je mit seinen langen braunen Haaren. Die Eltern sind überzeugt, dass er gewusst hat, dass sie da sind. So wie immer. Bis zuletzt haben die Eltern die Hand ihres Kindes gehalten und mit ihm geredet. Die Mutter hat ihm zugeflüstert, dass er jetzt gehen könne. „Das seinem Kind sagen zu müssen, ist kaum zu ertragen. Einem Kind, das so sehr leben wollte.“ Dem Kind, das doch mindestens 60 Jahre werden sollte. Es durfte nur 16 werden. Am 27. Jänner musste Fabian gehen. Dorthin, wo so viele sind, die gerne leben würden.
Die von Fabian georderten Schuhe wurden ein paar Tage später geliefert. Rechtzeitig zur Beerdigung. Die Eltern haben sie ihrem Sohn im Sarg mitgegeben.
Fabians Lieblingszitat stand mehrmals im Tagebuch: „Nur wer schreibt, der bleibt.“
Erschienen in gekürzter Version im Magazin „News“, Ausgabe 39/2012