Susanne Preusker war eine gefragte Psychologin, Psychotherapeutin, Dozentin und Gutachterin. Bis zu jenem Tag, an dem sie in ihrem Therapieraum in einem Hochsicherheitsgefängnis von einem Mörder sieben Stunden lang bedroht, gefesselt, geknebelt und vergewaltigt wurde. Da war mit einem Schlag ihr ganzes Leben kaputt. Es dauerte lange, bis sie Ängste und Panikattacken in den Griff bekam. Dass sie heute wieder unter Menschen gehen kann, verdankt sie Emmi, ihrer Mischlingshündin. Sie hilft ihr, den Weg in ihr neues Leben zu finden.
In ihrer schwersten Zeit verspürte die Frau Sehnsucht nach einem Vierbeiner, obwohl sie bis dahin ein unglaublicher Angsthase war, was Hunde anging. Und dann kam Emmi. „Sie hat mir die Normalität zurückgegeben. Als sie da war, hatte ich buchstäblich keine Zeit, über mich nachzudenken. Ob ich rausgehen möchte oder nicht, ob ich Angst habe oder nicht, war kein Thema“, erzählt Susanne Preusker. „Alles drehte sich um diesen kleinen Hund, der überall hingepiselt hat.“ Beim Spazierengehen und auf der Hundewiese habe sie dann die verrücktesten Leute kennen gelernt. „Und die kannten mich nur als Frauchen von Emmi. Da war ich nicht diejenige, der das und das passiert ist. Ich war einfach eine Hundebesitzerin. Das war so normal.“ Vor Emmi dachte sie, Hunde seien unberechenbar. Doch jetzt weiß sie, man muss vor Hunden keine Angst haben, „man muss nur Angst vor Menschen haben, denn die sind unberechenbar“,
Die Verletzung, die der Psychologin und Psychotherapeutin Susanne Preusker widerfahren ist, kann für sie einmal erträglich werden, wirklich gut werden wird sie nie. Es passierte am 7. April 2009 an ihrem Arbeitsplatz im Hochsicherheitsgefängnis im bayerischen Straubing. Sie wollte soeben ihr Büro verlassen, da bat der Häftling K. um ein kurzes Gespräch. Blitzschnell stieß er sie in den Raum, bedrohte sie mit einem Messer und verbarrikadierte die Tür. Susanne Preusker wurde von dem verurteilten Frauenmörder sieben Stunden lang als Geisel genommen, mit dem Tode bedroht, gefesselt, geknebelt und vergewaltigt. Immer wieder. Wenn sie schreie werde er ihr mit Sekundenkleber den Mund zukleben, drohte er. Und die Therapeutin wusste aus den Gesprächen mit ihm, dass sein letztes Opfer an seiner Knebelung erstickt war. Spezialeinheiten der Polizei hatten das Hochsicherheitsgefängnis längst umstellt. Trotzdem dauerte es sieben Stunden, bis Susanne Preusker freikam. Sieben qualvolle Stunden verging sich K. auf sadistische Weise an ihr. Sieben Stunden, in denen ihr niemand zu Hilfe kam. Der einzige Kontakt zur Außenwelt war ein Telefongespräch mit einem Kollegen, bei dem Susanne Preusker vorgeben musste, alles sei okay. Es gab einen Alarmknopf unter dem Schreibtisch, aber den konnte sie nicht erreichen.
Seitdem leidet sie unter Angstzuständen und Panikattacken, war sehr krank, hilfsbedürftig und brauchte viel Therapie. Ihren Beruf kann sie seither nicht mehr ausüben. Sie hat sich das Geschehen im Buch „Sieben Stunden im April“ von der Seele geschrieben, aber sie weiß auch: „Ich werde nie wieder die Alte sein.“ Auch die Erlebnisse mit Emmi sind in „Wenn das Glück mit dem Schwanz wedelt“, nachzulesen. Das Schreiben hilft ihr, womöglich schlägt sie eine Schriftstellerlaufbahn ein, denn inzwischen ist bereits ein weiteres Buch, der Krimi „Die Verwahrten“, im Buchhandel.
Emmi ist eine gute Therapeutin
Susanne Preuskers altes Leben endet an diesem 7. April. Sie bemüht sich, das neue ungeliebte Leben anzunehmen und geliebter zu machen. Gelingt es schon ein wenig? „Ja“, sagt sie, „denn ich hab ja nicht wirklich eine Alternative und irgendwann wurde ich des Jammerns müde.“ Zur Seite stehen ihr dabei ihr Mann, ihr Sohn – und Emmi, die bald dreijährige „Kampf“-Mischlingshündin. Ein Mix aus Staffordshire Terrier und Pitbull. „Was Genaues weiß man nicht“, schmunzelt das Frauchen. „Emmi ist eine Frohnatur und extrem temperamentvoll, sie liebt Menschen und hat noch nie jemanden etwas getan.“ Und sie weicht nicht von der Seite ihres Frauchens.
Der Beruf fehlt ihr sehr. „Er war mir extrem wichtig, ich hab immer gern gearbeitet, ich konnte das, was ich gemacht habe, ziemlich gut. Es ist immer noch eine Lücke. Das Leben ist jetzt ein anderes“, sagt sie. Ob sie jemals wieder als Psychologin und Therapeutin arbeiten kann, weiß sie nicht. „Weil nach wie vor auch mein berufliches Selbstverständnis erschüttert ist. Es ist ganz schwierig“, sagt Preusker, die 15 Jahre im Gefängnis tätig war und auch als Dozentin und Gutachterin einen Namen hatte. Es gibt immer wieder Phasen, in denen sie das Geschehen von vor vier Jahren einholt. Da blitzt dann wieder ein Messer auf, ein weißes T-Shirt und die Angst, dass ihr der Mund zugeklebt wird. Durch einen Tunnel zu fahren ist für sie nach wie vor nur sehr schwer zu ertragen.
Das Verbrechen hatte zur Folge, dass das ganze Leben, das sie sich aufgebaut und gemocht hatte, schlagartig nicht mehr da war. „Es ist alles zusammengebrochen, mein Beruf, und meine Integrität als Frau. Die Psychologin war weg, das Gefühl, Menschen einstufen zu können, war weg und die Sicherheit. Die ganze Sicherheit war weg, es gab nichts mehr für mich, keinen Ort, keinen Menschen, wo ich mich irgendwie sicher und aufgehoben gefühlt hätte. Nicht einmal bei meinem Mann und meinem Sohn. Es war ganz furchtbar“, erzählt sie. „Ich musste wieder lernen, vertrauen zu können und dass ein Supermarkt oder ein Bahnhof sehr wohl ein sicherer Ort ist. Das hat mich jetzt Jahre gekostet, es wieder zu erfassen.“
Raus aus der Opferrolle
Eines wollte sie keinesfalls – nämlich in der Opferrolle verharren. Opfer zu sein ist eine Momentaufnahme. Es betrifft die Zeit, in der man einem Verbrechen zum Opfer fällt. „Viele Menschen haben das Konzept, Opfer zu sein und zu bleiben. Das bedeutet aber, dass man nicht mehr das Gesetz des Handelns hat“ erklärt Susanne Preusker. „Dieses Konzept finde ich unheimlich gefährlich, weil man nicht selbst entscheiden kann. Und darum war es für mich auch so wichtig, dass ich dieses Heft des Handelns wieder in der Hand habe. Ich will nicht, dass andere Leute über mich entscheiden. Das will ich nie wieder.“
Dass sie in ihrem neuen Leben immer mehr ankommt, zeigt ihr innigster Wunsch. „Ich möchte bitte, bitte, bitte, endlich wieder fliegen können. In ein Flugzeug einsteigen und verreisen. Ich hab so furchtbare Angst davor, irgendwo zu sein, wo ich nicht raus kann. Nicht vor dem Abstürzen. Ich möchte die Freiheit wieder haben, wegfliegen zu können. Das ist mein Herzenswunsch.“ Bis er in Erfüllung geht machen die Preuskers Urlaub an der Ost- und an der Nordsee. Selbstverständlich mit Emmi, der Therapeutin.
Zur Person
Susanne Preusker, Jahrgang 1959, Psychologin, Gutachterin und Therapeutin, ist verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn und lebt in Magdeburg.
Zum Buch
In „Wenn das Glück mit dem Schwanz wedelt“ beschreibt Susanne Preusker, wie ihr Emmi geholfen hat, zurück in die Normalität zu finden und wie warum Hunde die besseren Therapeuten sind. Patmos-Verlag, 17,99 €.