Weihnachten mit dem Graßbaum

Erschienen in „Servus in Stadt&Land“, Ausgabe Dezember 2014

Einer der ersten Christbäume Österreichs stand in der Albertina.
Eine Prinzessin aus Hessen führte den protestantischen Brauch in Wien ein. Zur Freude ihrer Kinder. Und zum Missfallen ihres Schwagers Erzherzog Johann, den der Anblick dieses Graßbaums und all der Überfluss zutiefst verstimmte.

Jedes steirische Volksschulkind kennt Erzherzog Johann, auch wenn die richtige Aussprache des zungenbrecherischen Titels oft nicht gelingen mag. Als „Herzherzog“ oder „Herzig Johann“ kommt es da aus manchem Kindermund. Macht nichts, das mit dem Herz passt schon. Schließlich sagen sogar Historiker, dass er es am rechten Fleck hatte. Johann wird wegen seiner Liebe zur Postmeisterstochter Anna Plochl oft als romantischer Held dargestellt. Verklärung passt eigentlich nicht zu dem steirischen Prinzen, „der durch seinen klaren Verstand die wirtschaftlichen und politischen Probleme seiner Zeit erkannt und der versucht hat, sie mit unkonventionellen Mitteln zu bewältigen“, schreibt Walter Koschatzky in seinen Albertina Studien. Der 2003 verstorbene Direktor der Wiener Albertina war es auch, der Handschriften und Überlieferungen des Habsburgers sammelte und bewahrte. Er veröffentlichte Johanns Tagebuch, das jedoch aus handschriftlichen Notizen besteht, die ein Historiker 1943 anfertigte. Das Original-Tagebuch wurde 1945 vernichtet. Eine Eintragung darin widmet Johann dem Heiligen Abend im Kaiserhaus, der nicht seinen Vorstellungen entsprach, weil der religiöse Sinn des Festes bei Hof nicht mehr bedacht wurde.

Am 24. 12. 1823 beschreibt also Erzherzog Johann den Weihnachtsabend, den er bei der Familie seines Bruders Karl verbringt: Auch wenn es ihn erfreue, alle zu sehen, „so verstimmte mich gleich die große Hitze durch die vielen Lichter. In früherer Zeit, als ich klein war, gab es ein Kripperl, welches beleuchtet war, dabei Zuckerwerk – sonst aber nichts. Nun ist kein Kripperl mehr! Ein ganzes Zimmer voll Spielereien aller Art und wahrlich manches sehr Schönes und Vieles, welches in wenigen Wochen zerschlagen, zertreten, verschleppt sein wird und welches gewiss 1000 Gulden gekostet. Dies verstimmte mich noch mehr.“

Der volksverbundene Prinz kann mit dem Pomp und Überfluss bei Hof nichts anfangen, er ist seinen in Armut lebenden Steirern eng verbunden. Sie haben gerade die Franzosenkriege und zwei Jahre Hungersnot überstanden und kämpfen ums Überleben. Regelmäßig ein paar Erdäpfel auf dem Teller, wärmendes Gewand für die Kinder oder Schuhe sind für die Menschen Luxus. Das größte Glück für Kinder zu Weihnachten sind ein paar Äpfel und Nüsse oder gar eine vom Vater geschnitzte Holzfigur oder von der Mutter genähte Flickenpuppe.

In der Öffentlichkeit haben die Leute nichts zu reden. Es herrscht die Zeit des Absolutismus, der Unterdrückung, Zensur und des Spitzelwesens. Adel und Offiziere haben das Sagen und sie agieren hochmütig gegenüber der Bevölkerung. In dieser Zeit ist Erzherzog Johann der Lichtblick der Steirer. Er verteilt in den Notstandsgebieten Erdäpfel und ermutigt die hungernde  Bevölkerung diese anzubauen.

Zurück zum Tagebuch: Der Eintrag vom 24. 12. ist gleichzeitig die  Beschreibung des ersten „offiziellen“ Christbaums in Österreich. Erzherzogin Henriette von Nas-sau-Weilburg, Ehefrau von Erzherzog Karl, richtet 1823 zum ersten Mal das Weihnachtsfest im neu renovierten Wohnpalais, der heutigen Albertina, aus. Für ihre Kinder schmückt sie – wie bereits die Jahre davor – einen „Graßbaum“. Ein protestantischer Brauch aus ihrer Heimat Hessen, der im katholischen Österreich noch nicht üblich ist.

Johann missfällt, dass das einst gediegene Palais von Onkel Albert jetzt so protzig herausgeputzt ist und dass Weihnachten hier nicht besinnlich, sondern in ungebührlichem Überfluss gefeiert wird. „Zudem war dies in einem Zimmer, wo ich früher bei meinem Oheim so oft gespeiset, der mein Wohltäter gewesen. Mir kam mehr Lust zum Beten als zur Freude; ich dachte an ihn“, schreibt er, der nach Besichtigung der zahlreichen Zimmer im Haus keinen vertrauten Fleck mehr finden könne. „Als ich alles von einer Pracht mit einem solchen Aufwand gemacht sah, da wurde es mir fremd, ich fand mich so einsam und keinen frohen Blick konnte ich mehr machen.“ Nichts sei mehr so wie beim alten Herrn, alles umgekehrt, verändert und „unendliches Geld“ ausgegeben. Dabei unterliege vieles davon der Mode und sei nur von kurzer Dauer. Vor lauter Schönheit wisse er nicht, wo sich hinzustellen oder hinzusetzen.

„Es stand vor mir das Elend meiner Kinder im Gebirge, wo manches kaum mehr einen guten Rock hat. Da zog es mir das Herz zusammen. Gott, hätte ich das Geld, was da stecket! Wie viel Tränen getrocknet, wie viele Missmutige wieder aufgerichtet, wie viele wieder meinem guten Kaiser gewonnen! Doch still davon, solche Gefühle sind der Hauptstadt fremd. Ich habe sie in meinen Bergen gefunden, mit diesen bin ich dem hiesigen Leben fremd geworden. 

Ach, mein Brandhof mit seinen glatten Zimmern und Wänden ist auch warm, ist auch rein, ist auch schön und wer vorbeigeht, siehet ihn dort gerne an. Hätte ich noch so ein großes Einkommen, ich würde diesen doch nicht anders bauen. Es sind gar so viele, die brauchen und jetzt ist nicht an der Zeit zu solchem großen Aufwand. Die Menschheit will Hilfe und dies muss man nicht höhnen, da ist der Text plötzlich zu ende.

Zur Person

Erzherzog Johann von Österreich (1782 – 1859) war ein Mitglied des Hauses Habsburg, Sein älterer Bruder, Kaiser Franz I. verweigerte ihm sechs Jahre lang die Zustimmung zur Heirat (1829) mit Anna Plochl. Johann, ein Enkel von Maria Theresia, hatte zwar keine offizielle Funktion, brachte trotzdem die steirische Land- und Forstwirtschaft sowie die Eisenindustrie zum Blühen. Er errichtete Krankenhäuser, Schulen und Universitäten. Und: Er war der Erfinder des Steireranzugs.

Sein einziger Sohn Franz bekam den Titel „Graf von Meran“. Seine Nachkommen sind nach wie vor Besitzer des im Tagebuch beschriebenen
Brandhofes, der heute unter Denkmalschutz steht.